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Regisseurin Alice Douard über 15 LIEBESBEWEISE: "Alle haben eine Meinung über Mutterschaft."

Alice Douard stammt aus Bordeaux und studierte zunächst Kunstgeschichte. und dann Regie an der renommierten Filmschule La Fémis. 2022 gründete sie gemeinsam mit Marie Boitard die Produktionsfirma Les Films de June. 15 LIEBESBEWEISE ist ihr Langfilmdebüt und feierte Premiere in der Semaine de la Critique der Filmfestspiele von Cannes 2025.

Das Herz Ihrer Geschichte – ein Frauenpaar, das sein erstes Kind erwartet – ist
von Ihrer persönlichen Erfahrung inspiriert. Warum haben Sie daraus das
Thema Ihres ersten Films gemacht?

Alice Douard: Um ein fehlendes Bild zu schaffen. Wie Céline, meine Heldin, erwartete ich mein erstes Kind, ohne es selbst auszutragen – und musste es adoptieren. Diese Situation warf viele Fragen auf, meine eigenen ebenso wie die vieler anderer. Es gab keine Vorbilder, an denen ich mich hätte orientieren können. Also wollte ich diese Bilder erschaffen und erzählen, was unsere Art, eine Familie zu gründen, wirklich bedeutet. Ich wollte sowohl ihre Einzigartigkeit als auch ihre Alltäglichkeit zeigen und eine Darstellung fernab gängiger Fantasien anbieten. Von Anfang an war mir wichtig, dass der Film zugänglich ist und jede:r sich darin wiederfinden kann. Es ist ein Versuch der Versöhnung in einem Raum, in dem es viel Gewalt gegeben hat.

Haben Sie daran gedacht, einen Dokumentarfilm zu drehen?

Nein, das ist nicht mein Hintergrund. Ich habe an der Fémis Regie studiert, meine Kurzfilme waren immer fiktional. Dennoch habe ich viel recherchiert und viele Frauenpaare getroffen, die dieselbe Erfahrung gemacht haben – manche vor dem „Taubira“-Gesetz, andere danach. Für alle war die Verbindung von rechtlicher Anerkennung und Mutterschaft eine Herausforderung. Heute ist das Gesetz anders: Seit 2021 können Frauen eine pränatale Anerkennung abgeben, während wir den Adoptionsweg gehen mussten. Das war mühsam, aber auch eine Chance – denn vor 2013 gab es die Möglichkeit einer legalen Familie schlicht nicht! Ich habe die Geschichte bewusst in jener Zeit angesiedelt und meine Figuren als Pionierinnen erzählt. Der Adoptionsweg ist dabei sowohl dramaturgisch stark als auch eine Realität, die sichtbar gemacht werden muss.

15 LIEBESBEWEISE knüpft an Ihr Kurzfilmdebüt L'ATTENTE an, das 2024 einen
César gewann. Ist er als Erweiterung dessen gedacht?

Es sind zwei eigenständige Filme mit einem gemeinsamen Thema. Den Kurzfilm
habe ich in einer geschlossenen Welt angesiedelt – der Entbindungsstation – und die wenigen Stunden bis zur Geburt erzählt. Der Langfilm zeigt ein anderes Paar, ihre Intimität, die Blicke der anderen und ihren rechtlichen Weg. Er ist breiter angelegt, politischer, mit vielen Figuren und auch einem Blick auf Generationsfragen.Gemeinsam ist beiden Filmen die Bewegung hin zur Geburt und die Universalität von Elternschaft.

Warum haben Sie erneut die Perspektive der Frau gewählt, die nicht schwanger ist?

Weil es ein Figurenporträt ist. Mit Jacques Girault, dem Kameramann, haben wir viel über den Blickwinkel diskutiert: Aus welcher Distanz filmen wir Céline, folgen wir ihr oder beobachten wir sie? Diese Entscheidungen schaffen Empathie und
Identifikation. Céline ist eine Figur in Bewegung – ich habe Ella Rumpf gesagt:
„Deine Figur setzt sich nicht hin.“ Für mich war der Film wie ein Zug in Fahrt. Céline bereitet sich auf ihr Kind vor und sucht sich Zeuginnen und Zeugen, um ihre „Liebesbeweise“ vorzulegen.

Erlaubt diese Perspektive auch, Geschlechterrollen in Frage zu stellen?

Ja. Céline steht in gewisser Weise auf der Seite der Väter: Sie selbst ist nicht
schwanger, erlebt die Geburt von außen. Anders als Männer hätte sie das Kind aber austragen können. Gerade das macht die Begegnungen mit männlichen Figuren interessant – in dieser geteilten Erfahrung verschwimmt das Geschlecht.

Wird der Film nicht auch durch Céline’s Zeug:innenkreis universell? Jeder von
ihnen sagt ihr, was es heißt, eine „gute Mutter“ zu sein.

Alle haben eine Meinung über Mutterschaft. Jenseits der speziellen Situation von Céline und Nadia gibt es einen gesellschaftlichen Druck, eine „gute Mutter“ zu sein – das betrifft alle Frauen. Genau darin liegt auch die Universalität des Films: in der Beobachtung jeder werdenden Elternperson.

Marguerite, Célines Mutter und renommierte Pianistin, ist eine zentrale Figur.
Was wollten Sie mit dieser Figur erzählen?

Wenn man selbst ein Elternteil wird, definiert man die Beziehung zu den eigenen Eltern neu. Marguerite wirft die Frage auf: Welche Art von Mutterschaft wählt man, welche Opfer bringt man, was passiert, wenn man die Karriere priorisiert? Céline und sie haben eine komplexe Beziehung – geprägt von Abwesenheit, aber auch von Bewunderung und einem Erbe: der Musik. Céline ist DJ, wie ihre Mutter tritt sie auf. Die Verbindung liegt weniger in gemeinsamen Momenten als in Gesten, Technik und Konzentration. Und Marguerite hat ihr auch die Liebe zur Freiheit weitergegeben.

Ihr Film hat viele komische Momente und wirkt am Ende sehr zärtlich und
heiter. Warum?

Filme über Homosexualität sind oft dramatisch – verständlicherweise. Aber auch
freudige Bilder sind wichtig. Mir haben sie gefehlt, als ich jung war. Vielleicht wollte ich zeigen, was danach kommt: Leichtigkeit, Romantik, Freude. Humor und Zärtlichkeit helfen außerdem, ein breiteres Publikum zu erreichen.

Ihre Regie wirkt poetisch, in Kamerabewegungen und Licht. Woher kam die
Inspiration?

Von sehr unterschiedlichen Filmen. Allen voran TERMINATOR 2! Wir haben mit
anamorphotischen Objektiven gearbeitet und Ella Rumpf so ausgeleuchtet, wie
James Cameron John Connor gefilmt hat. Ella hat eine außergewöhnliche Tiefe im Blick – manchmal schien es, als filmte ich ihre Seele. Ein anderer wichtiger Bezug war Kore-edas SHOPLIFTERS – wegen seiner Bildsprache und der Frage, wie man „Familie macht“. Schließlich ELEPHANT von Gus Van Sant, besonders wegen seiner Körperlichkeit im Raum. Unsere Herausforderung war, daraus eine eigene ästhetische Einheit zu schaffen.

War die Rolle tatsächlich für Ella Rumpf geschrieben?

Ja. Ich habe sie 2016 in RAW entdeckt und war sofort beeindruckt. Seitdem wollte ich mit ihr arbeiten. Sie ist sehr zurückhaltend, es hat Zeit gebraucht, sie zu gewinnen. Aber als sie zugesagt hat, war sie vollkommen dabei. Sie hat DJ-Training absolviert, Soundchecks besucht – sie ist extrem fokussiert, ihre Hingabe ist unbezahlbar.

Ihre Partnerin spielt Monia Chokri – eine ganz andere Persönlichkeit.

Genau, und das war wichtig. Ich suchte jemanden, der im Kontrast zu Ella steht und trotzdem ein glaubwürdiges Paar mit ihr bildet. Ich dachte an THELMA & LOUISE: zwei starke Figuren, die zusammen etwas Neues schaffen. Monia bringt Energie und Körperlichkeit mit, eine Kühnheit, die gängige Klischees über schwangere Frauen aufbricht.

Auch Noémie Lvovsky als Marguerite ist zentral.

Sie war von Anfang an für diese Rolle gedacht. Marguerite ist keine Nebenfigur – sie bringt uns zum Lachen und macht uns zugleich Sorgen. Noémie kann alles spielen, sie ist eine großartige Schauspielerin und Regisseurin. Wir haben ihre Klavierszenen intensiv vorbereitet, damit alles stimmte. Am Set war sie hoch engagiert und voller Spielfreude.

Wie haben Sie die intimen Szenen inszeniert?

Sexualität gehört zu einer Beziehung. Die Frage war, wie man sie zeigt. Mir war
wichtig, nicht schüchtern zu wirken, aber auch niemanden zu überfordern. Das
Schöne liegt für mich im Aufbau, im Wachsen der Lust. Mehr muss man nicht zeigen – die Glaubwürdigkeit entsteht aus der Intensität, danach genügt eine
Schwarzblende. Auch das Spiel mit der Erwartung des Publikums ist spannend.

Sie zeigen auch bewusst Off-Screen-Momente, wie etwa die Geburt, nicht.
15 LIEBESBEWEISE beginnt sogar mit einem Tonarchiv.

Ja, das Off-Screen ist ein Leitmotiv. In einer Welt voller Bilder wollte ich die
Aufmerksamkeit anders lenken. Deshalb hört man zu Beginn den Moment, als 2013 das Gesetz zur „Ehe für alle“ verabschiedet wurde. Wir haben bewusst die Stimme des damaligen Präsidenten Claude Bartolone gewählt – seine Rolle verlangt Neutralität, und doch hört man seine Rührung. Das macht es berührend. Die Geburt selbst habe ich nicht gezeigt, sondern das Danach: die Fürsorge für Mutter und Kind. Das war mir wichtig – es geht um die Begegnung, um den Moment, in dem aus zwei Menschen drei werden. Für immer.
Die Musik ist ebenfalls zentral. Sie ist erzählerisch eingebunden – ob elektronisch, pop oder klassisch. Gemeinsam haben alle Stücke einen schnellen Rhythmus und melancholische Melodien. Das Drehbuch war wie eine Partitur aufgebaut, die Schauspielerinnen haben mit den Stücken gearbeitet.

Wer hat den Film produziert?

Marie Boitard und ich hatten Les Films de June gegründet, um „L’Attente“ zu
produzieren. Parallel entstand das Drehbuch zu „15 Liebesbeweise“. Für den
Langfilm habe ich Marine Arrighi (Apsara Films) angesprochen, mit der ich bereits ein anderes Projekt entwickelte. Wir haben von Beginn an eng zusammengearbeitet – Marie als Herstellungsleiterin, Marine als Produzentin. Marie und ich ergänzen uns sehr, wir stellen das Team früh zusammen und antizipieren logistische Hürden. So kann ich meine künstlerischen Ambitionen wahren, auch mit kleinem Budget.

Die Perspektive der LGBTQ+-Community bleibt Ihnen wichtig?

Absolut. Der Film erzählt die Freude und die Herausforderungen, eine Familie zu
gründen – und ist zugleich eine Antwort auf die heftigen Proteste gegen die Öffnung der Ehe. Ich hoffe, er kann Menschen zusammenbringen. Schon bei L'ATTENTE habe ich viele Reaktionen bekommen – von Frauen wie von Männern.

(Quelle: Luftkind Filmverleih)

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Tipp von Eva

15 Liebesbeweise

‘Alice Douards Langfilmdebüt ist ein bemerkenswert dezenter, gar zärtlicher Protestfilm.’

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