Pamela Jahn: Frau Victor, was macht für Sie eine gute Freundschaft aus?
Eva Victor: Ganz spontan fallen mir zwei Dinge ein: Erstens, dass sie oder er wirklich gut zuhören kann, und zweitens, dass der- oder diejenige bereit ist, sich auch in komplizierte und schmerzhafte Situationen des anderen tief hineinzuversetzen und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Meine beste Freundin weiß ganz genau, dass alles, womit sie zu kämpfen hat, auch irgendwie mein Problem wird, zumindest empfinde ich das so. Wir arbeiten zusammen wie zwei Detektive, um einen Weg aus dem Dunkel – oder sei es nur ein kleines Dilemma – herauszufinden. Damit einher geht ein enormes Gefühl der Sicherheit – einfach zu wissen und zu spüren, dass man nicht allein ist auf der Welt.
Der Film begleitet Ihre Figur Agnes, die mit einer posttraumatischen Störung kämpft, nachdem sie von ihrem Literaturprofessor sexuell missbraucht wurde. Was hat Sie dazu bewogen, diese Figur zu schreiben und zu spielen?
Was Agnes durchmacht, ist eine sehr persönliche Geschichte – auch für mich, aber was Agnes erlebt, ist fiktionalisiert. Ich sehe ihre Figur als eine Version von mir selbst, die sich von meiner Person und meinem Charakter unterscheidet. Agnes ist zum Beispiel sehr direkt, sie sagt, was sie denkt, auch wenn sie damit bei anderen Menschen aneckt. Ich bin das genaue Gegenteil. Insgeheim wünschte ich mir, ich wäre mehr wie sie. Trotz der emotionalen Achterbahnfahrt, die ich beim Schreiben durchlebt habe, hat es mir große Freude bereitet, mich in Agnes' Haut hineinzuversetzen und Dinge zu tun, die ich mir sonst nie erlauben würde: wenn sie etwa ein streunendes Kätzchen bei sich aufnimmt oder überlegt, Deckers Büro in Brand zu stecken. Ich finde es großartig, wie intensiv sie fühlt und wie impulsiv sie agiert.
SORRY, BABY ist trotz des schwierigen Themas kein schwerfälliges Drama. Hat Ihre bisherige Karriere im Comedy-Bereich den Ton für das Drehbuch vorgegeben?
Ich weiß gar nicht, wie man ein Drama schreibt. Darüber habe ich mir vorher keine Gedanken gemacht. Für mich ist die Erfahrung, die Agnes zu verarbeiten hat, so surreal, dass vieles einfach automatisch absurd erscheint. Ihre Welt ist verdreht, sie hat die Orientierung verloren. Fast jeder kennt doch das Gefühl, wenn man sich wie ein Fisch auf dem Trockenen fühlt und verzweifelt versucht, im Leben wieder einen Sinn zu finden. Da entstehen komische Momente oft aus der inneren Verzweiflung heraus. Und noch ein Punkt ist wichtig: Der Film zeigt auf überspitzte Weise mit dem Finger auf Menschen in Machtpositionen, die entweder gewalttätig oder einfach nur ignorant sind.
Sie vermeiden es bewusst, jegliche Gewalt zu zeigen, die mit dem Übergriff einhergegangen sein könnte oder auch nicht.
Die Idee war, einen Film über die Heilung eines sexuellen Traumas zu machen und nicht über den brutalen Akt selbst. Ich habe das Drehbuch zu einer Zeit geschrieben, in der ich für mich einen Film brauchte, der mir persönlich wieder Halt gab. Es fiel mir damals sehr schwer, mir irgendetwas anzusehen, das auch nur im Entferntesten mit dem Thema zu tun hatte. Was manchmal nicht ausreichend gewürdigt wird, ist, dass nicht nur der Übergriff an sich grausam ist, sondern auch die verlorenen Jahre danach.


