Filmgespräch

Yorgos Lanthimos, Emma Stone und Jesse Plemons über BUGONIA „Es wird immer schwieriger zu wissen, was real ist und was nicht.“

Patrick Heidmann

Yorgos Lanthimos (*1973 in Athen) war mit seinen absurden Komödien DOGTOOTH (2009) und ALPEN (2011) in den 2010er Jahren zentral für die sogenannte „Greek Weird Wave“. Seit THE LOBSTER (2015) dreht Lanthimos in englischer Sprache, und seit dem für neun Oscars nominierten THE FAVOURITE (2018) hat Lanthimos bei allen seinen Filmprojekten mit Emma Stone zusammengearbeitet, die für POOR THINGS (2023) den Oscar als beste Hauptdarstellerin erhielt. Patrick Heidmann hat sich mit Yorgos Lanthimos, Emma Stone und Jesse Plemons über BUGONIA unterhalten.

INDIEKINO: Mr. Lanthimos, BUGONIA basiert auf dem koreanischen Film SAVE THE GREEN PLANET von 2003. War es Ihre Idee, den zu adaptieren?

Yorgos Lanthimos: Nein, entwickelt wurde das Projekt von meinem Kollegen Ari Aster und seinem Produzenten Lars Knudsen, zusammen mit dem Drehbuchautor Will Tracy. Irgendwann schickten sie mir das Skript – und ich war gleich bei der ersten Lektüre begeistert. Die Geschichte war unterhaltsam, aufregend und inhaltlich komplex, also alles das, worum es mir mit allen meinen Filmen geht. Ich schickte sie gleich auch an Emma Stone, und als sie ebenfalls sofort darauf ansprang, war ich schnell mit an Bord. Mit Tracy habe ich dann noch ein wenig am Drehbuch gefeilt und es ein wenig meinem persönlichen Stil angepasst. Aber letztlich ging die Arbeit an diesem Film so schnell wie nie.

Ms. Stone, dies ist Ihr vierter gemeinsamer Film in Folge; seit THE FAVOURITE hat Lanthimos keinen Film ohne Sie gedreht. Was macht das Besondere Ihrer Arbeitsbeziehung aus?

Emma Stone: Da muss ich, fürchte ich, eine ziemlich langweilige Antwort geben. Wir verstehen uns einfach richtig gut, das ist schon das ganze Geheimnis. Unser Geschmack und unsere Interessen decken sich zu weiten Teilen, wenn es um Geschichten und Figuren geht. Als wir uns vor etwa zehn Jahren kennenlernten, hatte ich nur Yorgos’ Film Dogtooth gesehen, aber der hatte mich schon enorm neugierig gemacht. Nach unserem ersten Treffen ahnte ich dann schnell, dass er ein Mann ist, mit dem ich eine Wellenlänge habe und zu dem ich Vertrauen entwickeln kann. Die gemeinsame Arbeit an The Favourite hat das dann nur bestätigt und bekräftigt.

Lanthimos: Ich bin immer erstaunt, wenn Leute sich wundern, dass ich mehrere Filme hintereinander mit Emma gedreht habe. Früher gab es das doch immer wieder. Noch in den 70er Jahren kam es ständig vor, dass Regisseure und Schauspieler wiederholt kollaboriert haben. Warum denn auch nicht? Wenn man bestens harmoniert, können die Filme davon doch nur profitieren.

Heißt Vertrauen auch, einem Regisseur blind zu folgen?

Stone: Nein, eher, dass man über alles offen sprechen kann. Es geht ja um eine Kollaboration auf Augenhöhe. Ich versuche bei jedem Film, mich dem Drehbuch und meiner Rolle mit Haut und Haar zu verschreiben, so gut es irgend geht. Aber das heißt nicht, dass man nicht diskutiert. Wenn es Aspekte gibt, die mir nicht behagen oder zu denen ich eigene Ideen und Gedanken habe, dann spreche ich das an. Und bei jemandem wie Yorgos, den ich so gut kenne und zu dem mein Vertrauen so riesig ist, fällt mir das leichter als bei irgendwem sonst.

Mr. Plemons, für Sie ist BUGONIA auch schon der zweite Film mit Lanthimos und Stone. Erleichtert es die Arbeit, wenn man sich bereits kennt?

Jesse Plemons: Je besser man sich kennt, desto einfacher und reibungsloser wird die Kommunikation. Das gilt ja eigentlich für jede Beziehung, ist aber definitiv der Fall beim Filmemachen. Beziehungsweise merkt man womöglich sogar, wo gar keine Kommunikation möglich ist. Denn ich weiß noch, wie ich bei Kinds of Kindness anfangs Yorgos ganz viele Fragen gestellt habe, bevor ich irgendwann realisierte, dass ich von ihm nicht unbedingt echte Antworten bekomme. Was nicht zuletzt daran liegt, dass Yorgos natürlich in vielerlei Hinsicht eine klare Vision hat, aber gleichzeitig genug Raum lässt für die Intuition eines jeden einzelnen, einen eigenen Blick auf die Geschichte zu entwickeln.

Die klare Vision ist das eine, aber BUGONIA hat – vielleicht mehr als jeder Ihrer Vorgängerfilme – auch den Finger am gesellschaftspolitischen Puls der Zeit. War Ihnen das dieses Mal besonders wichtig, Mr. Lanthimos?

Lanthimos: Eigentlich geht es mir darum mit jedem Film. Manchmal sind die aktuellen Bezüge vielleicht ein bisschen versteckter, sodass sich das Publikum da ein bisschen mehr hinarbeiten muss. Aber meine Absicht ist es immer, Fragen zu stellen über die menschliche Natur und die gesellschaftspolitische Realität, in der wir leben. Vermutlich sind sie in diesem Fall ein wenig offensichtlicher als in anderen Filmen. Wobei es auch spannend war, dass unsere Geschichte und die darin verhandelten Themen immer relevanter zu werden schienen, je länger wir an BUGONIA arbeiteten. Dass wir in den Dialogen noch sehr viel unverkennbarer als vor vier Jahren den Zustand unserer aktuellen Weltlage wiedererkennen, ist also nicht nur Will Tracys Klarsicht geschuldet, sondern auch bitterer Zufall.

Sehr präsent ist auf jeden Fall das Thema Verschwörungstheorien. Was reizte Sie daran so sehr?

Plemons: Meine bevorzugte Verschwörungstheorie ist die, dass wir im Grunde alle Verschwörungstheoretiker sind. Niemand von uns ist frei davon, von außen beeinflusst oder manipuliert zu werden. Das fängt ja schon mit Werbung an, und dem daraus entstehenden Gefühl, irgendetwas kaufen zu müssen. Der von mir gespielte Teddy ist da nur ein Extrem.

Zwischen Werbung und Verschwörungstheorien gibt es allerdings schon noch einen Unterschied …

Plemons: Das stimmt natürlich. Auf Werbung anzuspringen, ist nicht das Gleiche wie tatsächlich zu glauben, dass Vögel nicht wirklich existieren. Das ist eine der Verschwörungstheorien, die ich am faszinierendsten finde.

Stone: Wie? Und was sollen diese Tiere an unserem Himmel stattdessen sein?

Plemons: Irgendein Spionageprogramm der Regierung oder so, glaube ich.

Lanthimos: Meine Favoriten sind immer noch all die klassischen Theorien rund um das Thema Außerirdische. Während der Arbeit an BUGONIA wollte ich mich damit nicht so wirklich auseinandersetzen. Aber danach habe ich mir online vieles angehört, was die Leute glauben, wo und wie viele Aliens schon auf der Erde waren und was die US-Regierung da vertuscht. Mit Bob Lazar und ähnlichen Typen kenne ich mich inzwischen bestens aus! Gleichzeitig sollten wir übrigens nicht vergessen, dass – mindestens jenseits dieser Alien-Thematik – an manchen Verschwörungstheorien auch etwas dran ist. Oder zumindest heutzutage das Hinterfragen von vermeintlichen Wahrheiten immer wichtiger wird.

Was genau meinen Sie?

Lanthimos: Angesichts dessen, was Technologie und natürlich nicht zuletzt Künstliche Intelligenz heutzutage alles kann, wird es doch immer schwieriger zu wissen, was real ist und was nicht. Natürlich müssen wir jetzt nicht alle Verschwörungstheoretiker werden. Aber zumindest werden wir uns künftig bei praktisch jedem Bild, jeder Aufnahme, jeder Information fragen müssen, ob wir einer Manipulation auf den Leim gehen oder dem glauben können, was wir sehen. Quellen zu überprüfen und zu hinterfragen wird künftig immer schwieriger werden. Und gleichzeitig wichtiger denn je.

Allzu optimistisch dürfte man also, wie ja auch BUGONIA suggeriert, nicht auf die Zukunft unserer Gesellschaft blicken, richtig?

Plemons: In meinen Augen zeigt der Film unser größtes Problem ziemlich klar auf, nämlich die Spaltung unserer Gesellschaft und dass es uns unmöglich geworden zu sein scheint, zwei gegensätzliche Wahrheiten gleichzeitig auszuhalten. Denn wenn man es genau betrachtet, sagen sowohl Teddy als auch Michelle in BUGONIA vieles, was richtig ist. Sei es, was sie über die selbstmörderischen Tendenzen der menschlichen Natur sagt, oder was er mit Blick auf den Umgang mit Menschen aus seiner sozialen Schicht feststellt. Aber auszuhalten, dass das Gegenüber etwas Wahres sagt oder widerspricht, ist unangenehm. Weil wir – um mal etwas pauschal zu werden – heute alle nach dem Motto zu funktionieren scheinen: Wenn du nicht meiner Meinung bist, kannst du dich zum Teufel scheren.

Gibt es denn also überhaupt noch Anlass zur Hoffnung für die Menschheit?

Plemons: Vielleicht nicht viel. Aber woran ich mich festhalte, sind die kleinen Momente, Gesten und Begegnungen. Gesamtgesellschaftlich deprimiert mich das meiste. Aber im Zwischenmenschlichen, im direkten Austausch erlebe ich zum Glück noch oft genug Situationen, die mich optimistisch stimmen. Ein höfliches, nettes Erlebnis mit einem Fremden empfinde ich heutzutage schon als richtig beglückend.

Stone: Die Verbindung zu anderen ist für mich der größte Quell der Hoffnung. Die gibt es, wie Jesse sagt, in zwischenmenschlichen Begegnungen ja nach wie vor. Außerdem weiß ich gar nicht, ob es früher so viel leichter war, hoffnungsvoll nach vorn zu blicken. Denn die einzige Garantie, die es für die Zukunft jemals gab, war die unausweichliche Tatsache, dass wir alle sterben müssen. Egal was ich tue, auf mich wartet der Tod – diese Erkenntnis ist doch so alt wie die Menschheit. Aber vielleicht kann man ja auch darin einen Grund zur Hoffnung entdecken. Denn was am Ende überleben wird, ist unser Planet. Der menschliche Parasit, der ihn aktuell bevölkert, mag irgendwann aussterben. Doch die Natur wird weiter gedeihen, vielleicht sogar mehr denn je.

Patrick Heidmann

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