Wie wichtig war es für Sie, diese Geschichte zu erzählen. Auch vor dem Hintergrund des Krieges, der gerade in der Ukraine wütet?
Wenn man es vom politischen Standpunkt aus betrachtet, werden auch die Flüchtlinge aus der Ukraine von Putin als eine Art Spielball benutzt, um die Schwachstellen in der Europäischen Union aufzudecken. Und es ist nicht das erste Mal, das dies geschieht. Aber was mich mehr interessiert, ist unsere Reaktion darauf. Wenn wir einmal unsere Augen wirklich öffnen, ist ganz klar, dass die Flüchtlingskrise nicht etwas ist, das einfach vorbeigehen wird. Die Zahl der Menschen, die nicht mehr in ihrer Heimat leben können, die auf der Suche nach einer besseren, einer sicheren Welt sind, wird wachsen. Und offenbar wissen wir nicht, wie wir dem begegnen sollen. Aber wenn die einzige Antwort darauf Gewalt und Verderben ist, dann sieht die Zukunft für uns alle sehr düster aus.
Sie haben sich dem Thema im Film aus verschiedenen Perspektiven genähert. War die Sichtweise der Grenzsoldaten am schwierigsten darzustellen?
Ich habe an die Macht der Fantasie geglaubt. Der Film ist im Eiltempo entstanden. Im September 2021 habe ich darüber nachgedacht, dass ich etwas tun muss, dass ich nicht länger einfach nur zusehen kann, was dort an der Grenze passiert. Also habe ich zwei Drehbuchautoren kontaktiert, Maciej Pisuk und Gabriela Lazarkiewicz, die beide auch politisch engagiert sind. Wir begannen unmittelbar mit der Vorrecherche. Es war relativ einfach, denn es gab eine Menge Material. Einige Aktivisten kenne ich persönlich, die habe ich befragt. Durch sie erhielt ich auch Zugang zu Aufnahmen von Flüchtlingen. Andere habe ich persönlich getroffen. Aber die Grenzsoldaten waren unmöglich zu erreichen. Und das, obwohl meine Tochter (Katarzyna Adamik, Anm. d. Red.) bei einer der populärsten polnischen Serien für HBO Regie geführt hat, in der es um die Grenzschützer im Südosten Polens ging. Ich habe sogar versucht, ihre Kanäle zu nutzen, aber auch das hat nicht funktioniert.
Woran haben Sie sich dann orientiert?
Wir wussten zum Beispiel von den Journalisten in der Region, dass es mehrere Selbstmorde gab. Wir wussten, dass die Soldaten wie verrückt tranken, dass der Verkauf von Alkohol enorm angestiegen war. Und als wir das Drehbuch schon fast fertig hatten, wurde ich plötzlich von drei Grenzsoldaten getrennt kontaktiert. Zwei von ihnen waren noch aktiv, der dritte war bereits im Ruhestand. Sie haben unsere Vermutungen lediglich bestätigt. Es hat fast alles gestimmt. Was bedeutet, dass es manchmal nicht so sehr auf die Recherche ankommt, sondern dass es wichtiger ist, mit der Realität verbunden zu sein und seine psychologische Vorstellungskraft einzusetzen.
Was hat Sie bei der Arbeit an dem Film persönlich am meisten berührt?
De Reaktionen der Menschen, die unmittelbar in den Konflikt involviert sind. Vor ein paar Tagen habe ich eine der Hauptaktivistinnen getroffen, die unser Drehbuch gelesen hatte, aber wir hatten uns noch nie persönlich kennengelernt. Sie sagte mir, dass sie versucht hat, Fehler oder Ungereimtheiten im Film zu finden, aber es sei ihr nichts aufgefallen. Da ist mir ein großer Stein vom Herzen gefallen, denn darum ging es mir von Anfang an.
Was waren die größten Herausforderungen bei den Dreharbeiten?
Eigentlich war es ganz einfach. Wir hatten nicht viel Geld, die Crew war klein, aber sehr engagiert. Jeder akzeptierte nur ein geringes Gehalt, einige Leute haben sogar ganz umsonst mitgearbeitet. Wir hatten zwei Sets und haben parallel gedreht. Ich bin wirklich froh, dass ich Filmemacherin und keine Politikerin bin. Ich hatte die volle Kontrolle über meine Arbeit zu jedem Zeitpunkt in der Produktion, anders als die Politiker, die keine Ahnung haben, was in Europa vor sich geht.
Sie haben nach der Premiere des Films an die Europäische Union appelliert, dass jetzt eine Entscheidung getroffen werden muss, auch weil der Druck von rechts immer mehr zunimmt. Haben Sie das Gefühl, es ist schon zu spät?
Ich denke schon. Als die Krise 2014 ausbrach, hat die Europäische Union zu schnell klein beigegeben. Das gab den populistischen und faschistischen Bewegungen die Möglichkeit, die allgemeine Angst über die enorme Zahl der Flüchtlinge – zwei Millionen, drei Millionen – sofort für ihre Zwecke auszunutzen. Sie wollten beweisen, dass Europa untergeht, seine Identität verliert, dass der europäische Gedanke, der auf Solidarität und Internationalismus beruht, nicht länger tragbar ist – und es hat funktioniert. Nicht nur in Ungarn, Polen und Italien hatten sie damit Erfolg. In gewisser Hinsicht konnten sie so auch in Frankreich, Spanien und Deutschland Fuß fassen. Seitdem tut die EU so, als gäbe es das Problem nicht. Die Lösungen, die sie anbietet, sind lächerlich.
Sie haben auch gesagt, das Kino sei nicht völlig machtlos. Was genau meinen Sie damit?
Wir können eine Wirklichkeit schaffen, die mehr zeigt als die Realität, die wir sehen. Wir können die Menschen mit unseren Bildern leichter erreichen. Und ja, wir können den Menschen eine Stimme geben, die sonst keine Möglichkeit haben, an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber natürlich weiß ich auch, dass unser Einfluss begrenzt ist. Ich bin nicht naiv.
Hat sich Ihre Motivation fürs Filmemachen im Laufe Ihrer Karriere verändert?
Nein. Ich habe es immer für richtig und wichtig empfunden, auf meine Weise politisch aktiv zu sein. Als Filmemacherin oder Künstlerin habe ich das Recht und die Möglichkeit, meine eigene Agenda zu verfolgen. Ich glaube nicht, dass es unsere Aufgabe ist, die großen politischen Kämpfe auszufechten. Aber wir sind jetzt in einer Situation, in der ich für mich persönlich keine andere Wahl sehe, als aktiv zu werden.
Das heißt, Sie werden sich weiter mit dem Thema beschäftigen?
Mein nächster Film wird von Franz Kafka handeln. Und wie gesagt, ich habe auch die letzten Jahrzehnte sehr genossen, in denen ich mich als Filmemacherin nicht direkt mit dem politischen Geschehen beschäftigen musste. Aber seit 2014 habe ich den Eindruck, dass das europäische Kino, das unabhängige Kino, für die wirklichen Probleme, die es gibt, nicht relevant ist. Es ist talentiert, es ist sensibel, es spricht über die Kindheit, über Traumata und persönliche Krisen, die natürlich auch sehr wichtig sind. Aber das ist nicht genug.
Was macht Kafka in diesem Kontext zu einer interessanten Figur für Sie?
Kafka ist mein Seelenverwandter, seit ich 15 war. Er ist wie ein Bruder für mich, jemand, der mich durch sein Schreiben immer sehr beeinflusst hat. Ich glaube, viele seiner Werke und Ideen sind heute aktueller denn je.
Was ist Ihre Strategie für den Kinostart von GREEN BORDER in Polen und international?
Es gibt keine besondere Strategie. Wir wollen den Film zeigen, darum geht es uns. Wir arbeiten mit ganz normalen kommerziellen Verleihern, die genau wissen, dass es sich um ein sehr kontroverses Thema handelt. Und das kann im Kino immer in beide Richtungen gehen.
Und wie wird es für Sie persönlich weitergehen?
Zugegeben, ich kenne das Ausmaß der möglichen Probleme nicht. In jedem Fall werde ich erst einmal mit einer Menge verschiedener Gerichtsverfahren beschäftigt sein, so viel steht fest. Aber keine Angst, ich lasse mich nicht unterkriegen. So schnell gebe ich nicht auf. (INDIEKINO Magazin, 01/2024)