Man muss eine Figur also gar nicht verstehen, um sie spielen zu können?
Nein. Aber das war mir vorher selbst nicht bewusst, und ich glaube, es geht nur in dieser Konstellation. Sobald ich möchte, dass das Publikum jemanden versteht, muss ich das auch tun. Denn dann geht es mir darum, die Figur zu beschützen. Nur das ist hier eben nicht der Fall. Ich fand immer, dass sie, Hedwig Höß, das überhaupt nicht verdient hat. Deswegen: Es geht auch ohne. Eine erschreckende Feststellung, auch für mich.
War die Pragmatik, die Ihre Figur an den Tag legt, etwas, worüber Sie sie zumindest ansatzweise greifen konnten?
Auch hier ist „greifen“ eigentlich nicht das passende Wort. Jonathan hat immer gesagt: „Wenn man nachdenken will, muss man innehalten.“ Doch das tut sie nicht. Sie macht keine Pause, die ihr die Möglichkeit geben würde, auch mal zu reflektieren, was da passiert. Sie ist immer in Aktion, sei es im Garten oder mit den Kindern oder beim Verteilen von Unterwäsche von getöteten Menschen. Aber ich weiß, was Sie meinen. Und vielleicht ist diese blinde Geschäftigkeit eher kein Charakterzug in dem Sinne, sondern eine ganz praktische Handlungsanweisung der Regie.
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Wie hat Sie Jonathan Glazer insgesamt an das Projekt herangeführt?**
Eben nicht über die Figur, sondern über seinen Ansatz. Alles drehte sich um die Frage, wie man so leben kann, in diesem scheinbaren Paradies, mit der Hölle nebenan, die man selbst geschaffen hat. Wie kann man das die ganze Zeit verdrängen und negieren. Und was hat das mit uns heute zu tun. Der Film ist auf eine Art und Weise modern, die dazu führt, dass uns die Geschichte berührt, ohne dass sie historisch wirkt oder die Figuren eine Monstrosität haben, die es uns erlauben würde, sie von uns weghalten zu könnten. Nein, es sind ganz gewöhnliche Leute, die alltägliche und banale Dinge tun. Das Drama spielt sich woanders ab. Für Jonathan war es wichtig, dass die Erzählung so flach wie möglich verläuft.
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Der britische Regisseur ist selbst ein sehr privater Mensch, der selten in der Öffentlichkeit über seine Arbeit spricht. Wie haben Sie Ihn bei den Dreharbeiten kennengelernt?**
Er ist klug, mutig und ein großer Visionär, der jede Art von Kunst schaffen könnte, nicht nur Film. Mich hat vor allem die Ernsthaftigkeit fasziniert, mit der er arbeitet, die Zärtlichkeit, mit der er den Menschen um sich herum begegnet, der Respekt, der jederzeit zu spüren ist. Das war schon außergewöhnlich für mich als Schauspielerin.
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Wie viel hat er Ihnen im Detail über die Art der Inszenierung verraten?**
Durch die Gespräche mit Jonathan war mir schnell klar, in welche Fallen der Film nicht tappen würde. Etwa, dass es kein herkömmliches Nazi-Drama werden sollte, das darauf ausgelegt ist, die Geschichte zu emotionalisieren und zu fetischisieren. Ich hatte eher den Eindruck, dass es ihm in erster Linie darum ging, beim Publikum ein Gefühl der Unsicherheit zu erzeugen, eine Art Unwohlsein, aber nicht so sehr, dass man das Kino verlassen möchte, weil man sich angegriffen fühlt. Der Film passiert auf einer Ebene, die ganz schwer zu fassen ist, eben weil er so unspektakulär daherkommt. Und weil die Musik von Mica Levi in Stellen in unserem Körper und Geist vordringt, wo das Bewusstsein gar nicht mehr hinkommt.
Wie haben Sie persönlich die Dreharbeiten in Auschwitz empfunden?
Der Ort hat von uns als Menschen einen enormen Respekt verlangt, eine Demut, die ich sonst nirgends auf der Welt jemals so verspürt habe. Und ich bin grundsätzlich ein demütiger Mensch. Aber das war schon speziell, die Art von Ernsthaftigkeit, die ich da empfunden habe. Das war auch durch nichts zu verändern. Und selbst wenn ich auch nur im Ansatz gedacht hätte, das ist jetzt alles ganz schön viel, wäre das Gefühl sofort wieder weg gewesen, weil es sozusagen überhaupt nicht in Relation stand mit dem, was damals dort geschehen ist.