Patrick Heidmann: Mr. Mortensen, Western wie Ihr neuer Film THE DEAD DON’T HURT sind heutzutage vor allem etwas für Liebhaber, hat man oft den Eindruck. Was verbinden Sie mit dem Genre?
Viggo Mortensen: Ich komme noch aus einer Generation, wo Western keinen Seltenheitswert hatten. Als ich als Junge anfing, bewusst Filme zu gucken, so mit vier oder fünf Jahren, kamen sie noch regelmäßig ins Kino, und die eine oder andere Westernserie im Fernsehen gab es auch. Damals war ich ein großer Fan dieser Geschichten, nicht zuletzt der Action wegen. Erst als Erwachsener habe ich gemerkt, dass die meisten der Filme eigentlich ziemlich schlecht waren. Wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass höchstens 5% aller Western gut erzählt sind, visuell überzeugen und auch wirklich etwas zu sagen haben.
Worauf kam es Ihnen dann also an, wenn Sie nun dem Genre mit einem eigenen Film Tribut zollen?
Meine Absicht war es, einen Film zu drehen, der sich vor dem verneigt, was die besten dieser klassischen Western ausmachte. Mir war wichtig, dass die Landschaft einen großen Raum einnimmt, und dass sich sowohl die Zeit als auch der Ort der Geschichte historisch korrekt anfühlen. Bis hin zur Sprache übrigens. Ein anderer Aspekt, dem ich treu bleiben wollte, war die Kommunikation zwischen den Figuren, die im Western ja nicht unbedingt über allzu viele Worte stattfindet. All diese Bestandteile wollte ich in meinem Film haben – und trotzdem mindestens eine Sache ganz anders machen.
Sie meinen den Fokus auf die weibliche, von Vicky Krieps gespielte Hauptfigur?
Genau, denn Frauen im Zentrum sind in klassischen Western ja doch eher unüblich. In diesem Fall kommt dazu, dass der Mann an ihrer Seite irgendwann für mehrere Jahre in den Krieg zieht, aber wir ihm mit der Geschichte nicht folgen, sondern die ganze Zeit bei ihr bleiben. Mich interessierte, wie es einer Frau geht, wenn der Mann in ihrem Leben in den Krieg zieht und sie auf sich allein gestellt ist, denn davon erzählen Western und Kriegsfilme praktisch nie. Western spielen traditionell in dieser Zeit, in der die Grenzen der Zivilisation verschoben wurden und die Menschen sich auf unerforschtes Terrain begaben. Vivienne, wie unsere Protagonistin heißt, macht genau das auch noch im übertragenen Sinne. Sie begibt sich innerhalb dieser wilden, gesetzlosen Welt doppelt auf unbekanntes Terrain, denn plötzlich muss sie sich als Frau dort eine ganz eigene Existenz aufbauen.
Die Frontier wurde damals bevölkert von Menschen aus der ganzen Welt, und Sie erwähnten eben im Kontext der Authentizität die Sprache. Warum war es Ihnen so wichtig, dass Ihre Figuren z.B. mit sehr unterschiedlichen Akzenten sprechen?
Ich habe immer schon die Meinung vertreten, dass man als Geschichtenerzähler so spezifisch und präzise wie möglich sein muss, um eine möglichst universelle Wirkung zu haben. Man muss glauben, dass die Figuren echte Menschen sind – und der amerikanische Westen war im 19. Jahrhundert nun einmal ein einziger Schmelztiegel. Die Siedler kamen von den britischen Inseln, aus Europa, China, Kanada. Ich wollte auf keinen Fall, dass sie sich, wie in den meisten Western, alle anhören, als stammten sie aus Kaliforniern oder Texas. Deswegen klingt der von mir gespielte Holger nun nicht nur wie jemand aus Dänemark, sondern bringt auch eine recht dänische Schüchternheit und den trockenen Humor mit. Und deswegen eignete sich Vicky nicht nur irgendeinen französischen Akzent an, sondern konkret einen, der sie klingen lässt, als käme sie aus Quebec.
Wie würden Sie Vivienne und ihre Beziehung zu Holger beschreiben?
Mir war nicht daran gelegen, die Frau als eine Art Superheldin zu zeigen, die hypermodern ihr Ding durchzieht und sich mit einem Gewehr in der Hand an all den Männern rächt, die ihr übel mitspielen. Das hätte vielleicht die niederen Instinkte des Publikums befriedigt, wäre mir aber viel zu schlicht gewesen. Vivienne ist eine starke, unabhängige Frau, die sehr genau weiß, wer sie ist und was sie will. Aber sie ist eben auch eine Frau ihrer Zeit. Und sie hat sich Holger als Partner ausgesucht, weil der genauso unabhängig, eigensinnig und unperfekt ist wie sie. Beide sind stur, aber auch sehr ehrlich miteinander, woraus sich ein großes Vertrauen entwickelt. Darüber hinaus ist die Geschichte ihrer Beziehung auch eine über die Möglichkeit der Vergebung, die man in Western ja sonst eher nicht sieht. Es ist nicht leicht zu vergeben, weder sich selbst noch einer anderen Person. Aber für mich ist das der Schlüssel zu einer Beziehung, die Bestand hat: Man muss über seinen Schatten springen können, sich anpassen und mit der anderen Person weiterentwickeln. Solche Herausforderungen machen ein Paar zu einer starken Einheit und einen Film dramatisch interessant.