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The Zone of Interest: Über das Geniessen des Faschismus

The Zone of Interest, Garten der Familie Höß

Inspiriert von Martin Amis‘ gleichnamigen Roman zeigt Jonathan Glazers Film THE ZONE OF INTEREST das Familienleben der Familie des Auschwitz-Birkenau-Kommandanten Rudolf Höss.

I.
Im Herbst 1943 wurde der SS-Obersturmbannführer und -Richter Konrad Morgen nach Auschwitz entsandt, um die Korruption und Selbstbereicherung unter den SS-Offizieren und -Mannschaften zu untersuchen. Infolgedessen wurde Rudolf Höß, der Kommandant des Konzentrations- und Vernichtungslagers, seines Amtes enthoben und nach Berlin versetzt, zur Aufsichtsbehörde der Konzentrationslager, dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt. Pro forma war das eine Beförderung, de facto eine Strafversetzung. Höß‘ Familie, mit der er gemeinsam ein Haus in unmittelbarer Nähe des „Stammlagers“ Auschwitz I bewohnte, blieb in Auschwitz. Am 8. Mai 1944 kehrte Höß als Kommandant der SS-Garnison nach Auschwitz zurück, weil die Ermordung von 400.000 ungarischen Juden anstand und weil Höß‘ Nachfolger Arthur Liebehenschel Inkompetenz und „mangelnde Härte“ vorgeworfen worden war.

II.
Im Januar 2007 erhielt das United States Holocaust Memorial Museum ein 1946 gefundenes Fotoalbum des SS-Offiziers Karl-Friedrich Höcker. Das Album enthält Fotografien von SS-Offizieren, Wachmannschaften und von weiblichen SS-Hilfstruppen der Lager Auschwitz-Birkenau, die sich im nahe gelegenen Erholungsheim Solahütte entspannen. Die fröhlichen Mörder*innen weckten neues Interesse am Privatleben der Nazi-Bewacher des Lagers. Neben Laurence Rees‘ BBC-Serie Auschwitz – The Nazis and the „Final Solution“ und dem begleitenden Buch gleichen Titels dürften diese Quellen die wesentlichen Eindrücke gewesen sein, die den Autor Martin Amis dazu bewogen, den Roman „The Zone of Interest“ (dt. „Interessengebiet“) zu schreiben. Rees hatte Zeugnisse von zahlreichen Überlebenden und Zeitzeugen gesammelt, unter ihnen auch Zeugnisse von Angehörigen der „Sonderkommandos“, die dazu gezwungen wurden, die zu ermordenden Männer, Frauen und Kinder in die Gaskammern zu führen, sie über deren Zweck zu belügen, die Leichen auszuplündern und in die Krematorien zu schaffen.

III.
Der deutsche Hanser-Verlag nahm Amis‘ Roman „The Zone of Interest“ zum Anlass, sich von seinem Autor zu trennen. Es fand sich auch kein anderer deutscher Verlag, und so erschien „Interessengebiet“ schließlich in der Schweiz, beim Verlag „Kein & Aber“. Der betulichen deutschen „Erinnerungskultur“ war das alles zu frivol, zu zynisch, zu sarkastisch, eben „unangemessen“ – als hätte Auschwitz ein Maß gekannt. „Holocaust-Pulp“ sei das Buch, schrieb Hans-Jost Weyandt in einer launigen „Spiegel“-Rezension.

“The Zone of Interest” erzählt aus drei Perspektiven: Golo Thomsen, ein leitender Angestellter der Buna-Werke (IG Farben) im KZ Auschwitz 3 und Lieblingsneffe Martin Bormanns hat neben diversen Sex-Geschichten ernsthafte amouröse Ambitionen gegenüber Hannah Doll, der Frau des KZ-Kommandanten, und versucht mit allen Mitteln, die Produktion in den Buna-Werken zu verlangsamen, um das Kriegsende schneller herbeizuführen. Der Kommandant Paul Doll sitzt in Operetten und fragt sich, wie schnell man das gesamte Publikum vergasen könnte. Außerdem hadert er mit der Verachtung, die seine Frau ihm entgegenbringt. Der jüdische Häftling Szmul ist gezwungen, im „Sonderkommando“ Mithäftlinge in die Gaskammern zu führen und schildert seine Verzweiflung und seine Versuche, Zeugnis abzulegen, indem er seine Erinnerungen heimlich aufschreibt und in einer Thermoskanne vergräbt.
Amis‘ Roman rückte den banalen, pervers-frivolen Alltag in Auschwitz in den Blick, wie er sich auch im Höcker-Album abbildete. Für den deutschen Literaturbetrieb war das zu viel. Jonathan Glazers Film ist da „anständiger“. Es gibt keinen Sex und weniger Suff. Dafür gibt es Kunst, for better, for worse.

IV.
Als „Interessengebiet“ bezeichnete die SS das rund 60 Quadratkilometer umfassende Sperrgebiet um das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, in dem sich die Wohnquartiere der Wachmannschaften, SS-Offiziere und deutschen Mitarbeiter der an das Lager angeschlossenen Agrar- und Industriebetriebe befanden, sowie die Industrieanlagen, vor allem die IG Farben Fabrik „Buna“, die künstliches Kautschuk und Treibstoff für die Wehrmacht herstellen sollte. Das Haus des Kommandanten Rudolf Höß, in dem er mit seiner Frau Hedwig und den gemeinsamen Kindern wohnte, grenzte direkt an die Mauer des Stammlagers Auschwitz I. THE ZONE OF INTEREST spielt größtenteils in diesem Haus und seinem Garten, vor allem im Frühling und Sommer 1943, kurz vor Höß‘ Versetzung nach Berlin.

In einer Farbpalette, die sich, soweit es das digitale Material erlaubt, an der kühlen deutschen Farbskala von Agfa/Orwo orientiert – mit tieferen Blautönen als beim amerikanischen Kodak-Material – zeigt Glazer das Leben der Familie des Kommandanten des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, Rudolf Höß. Die Farbpalette ist mit den Fotografien deutscher Familienfotos aus den fünfziger Jahren, den frühen NS-Farbfilmen und den BRD-Heimatschinken der Nachkriegszeit nahezu identisch. Die erste Erschütterung, die THE ZONE OF INTEREST bietet, ist die des Wiedererkennens: Der „Paradiesgarten“, auf den Frau Höß besonders stolz ist, mit seinen ordentlichen Nutzpflanzen- und Zierblumen-Beeten, sieht aus wie alle Gärten in den deutschen Siedlungshäusern, die seit den Zwanziger Jahren mit Gärten zur teilweisen Selbstversorgung gebaut wurden. Der Garten wäre ein kleinbürgerliches Idyll, wären da nicht die Wachtürme und der Rauch aus den Schornsteinen des Lagers Birkenau im mit maximaler Tiefenschärfe gefilmten Hintergrund – und der Swimming Pool, den der Kommandant hat anlegen lassen. Vom Grauen der Mordfabrik im Hintergrund legt nur die Tonspur Zeugnis ab, auf der die britische Komponistin Mica Levi Schüsse, Peitschenhiebe, Schreie, Hundebellen unter das Grollen der Synthesizer legt.

Sandra Hüller gibt Hedwig Höß einen robust-bäuerlichen Gang und einen aggressiv-gönnerhaften Dünkel. Sie verteilt zu Beginn des Films Raubgut der Ermordeten an ihre Dienerschaft und posiert im Nerzmantel einer Toten vor dem Spiegel. Wenn sie wütend ist, jagt sie ihrer Zwangsdienerin Angst ein: „Ich schnipse einmal mit dem Finger, und mein Mann macht dich tot.“ Die Familie geht in den Flüssen um Auschwitz baden und paddeln, Rudolf zeigt seinen Kindern besondere Vogelarten, Hedwig pflegt ihren „Paradiesgarten.“ THE ZONE OF INTEREST ist weniger ein Film über die „Banalität des Bösen“, ein Begriff, den Hannah Arendt für den Habitus von Adolf Eichmann prägte. Es geht um das Genießen der Mörder*innen-Welt, die sich nur marginal vom Alltag der übrigen Deutschen unterschied. Hedwig muss, wie alle Deutschen ihrer Zeit, die Mordkomplotte und den Leichengeruch ausblenden, um die Vergünstigungen, die sie dank des Mordgeschäfts der Regierung erhalten oder sich selbst verschaffen, genießen zu können. Es geht nicht um die Banalität des Bösen, sondern um die Zufriedenheit im Genuss des Bösen. THE ZONE OF INTEREST ist einer der kühlsten, aber auch wütendsten Holocaust-Spielfilme, gerade weil er das eigentliche Grauen in den Hintergrund verschiebt. Er fragt nicht danach, wie das passieren konnte, sondern konstatiert, dass es ganz einfach war, man musste nur weitermachen wie immer, und es gab Belohnungen. Wenn Rudolf Höss dann doch einmal einen menschlichen Schädel, der aus den Massengräbern ausgeschwemmt wurde, beim Baden entdeckt, gerät er in Panik.

Nur selten werden die Szenen überhöht, etwa wenn Hedwig ihrem Baby eine rote Dahlie zeigt und die Kamera an die Blüte heranfährt, bis schließlich eine Blende ins Rot die ganze Leinwand füllt. Das überdeutliche filmische Symbol – mit anderen Konnotationen bekannt aus Dario Argentos Giallo PROFONDO ROSSO oder Nora Fingscheids Sozialthriller SYSTEMSPRENGER – ist nicht der stärkste Moment des Films. Kurze, traumartige Sequenzen in invertiertem Schwarzweiß, in denen eine (weibliche?) Figur etwas vergräbt, unterbrechen die Handlung und den quasi-realistischen Stil des Films immer wieder. Glazer erklärte im Interview, was vergraben würde, wäre die Hoffnung. Tatsächlich vergruben einige Gefangene heimlich Texte und Briefe, in denen sie über Auschwitz Zeugnis ablegten, in der Hoffnung, dass diese nach der Befreiung gefunden würden. Die Szenen wirken im Film trotz ihrer Verfremdung wie ein Aufatmen: endlich wieder Kunst, die den fürchterlichen Alltag unterbricht. (INDIEKINO Magazin, 03/2024)

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Tipp von Tom

The Zone of Interest

‘THE ZONE OF INTEREST ist einer der kühlsten, aber auch wütendsten Holocaust-Spielfilme, gerade weil er das eigentliche Grauen in den Hintergrund verschiebt.’