Die Kamera vollführt einen 360 Grad Schwenk, tastet den Handlungsraum, das Herz dieser kulinarischen Romanze ab, die Trần Anh Hùng dieses Jahr die Goldene Palme für die beste Regie in Cannes einbrachte. Wir sehen die spiegelnd blank geputzten Messingpfannen, den Herd, kunstvoll arrangierte Stillleben mit Blumen und spüren noch den Nachhall der eingespielten Choreografien, die Köchin Eugénie (Juliette Binoche) und Gourmetkoch Dodin (Benoît Magimel) hier zusammen mit ihrer Küchenhilfe Violette vollführt haben.
Jedes Mahl wird mit Hingabe zubereitet. Brühen köcheln Stunden vor sich hin, bevor sie sich in Soßen verwandeln. Es schmort, brutzelt und dauert Zeit, die die Regie gewährt, um einzutauchen, sich förmlich in das kredenzte Omelette Norvégienne zu verlieben, den Geschmack des perfekten Pot-au-feu auf der eigenen Zunge herbeizusehnen. Das Geheimnis liegt in den Zutaten und dem Wissen, mit ihnen auf bestmögliche Weise umzugehen.
Im Obergeschoss philosophieren die Herren über Zusammensetzung und Textur. Eugénie gesellt sich nie dazu, spricht, wie sie sagt, durch ihre Gerichte mit der Außenwelt. Dodin umwirbt seine Köchin seit Jahren, sie leben unter einem Dach, und wenn es ihr passt, gewährt sie ihm Zutritt zu ihrem Schlafzimmer. Seine Heiratsanträge werden charmant abgelehnt, es ist ihr das Wichtigste, seine Köchin zu sein, nicht seine Frau, denn nur so kann sie ihre Autonomie bewahren, in diesem feinen Korsett der Macht, das nur ganz zart thematisch angerissen wird. Trần verweilt fast schon altmodisch in einem paradiesischen Zustand der Erhabenheit. Schönheit, verkörpert durch Eugénie, der Mikrokosmos eines abgelegenen französischen Landgutes und eine Sanftheit im Umgang miteinander pulsieren wie freundliche Geister in jedem Bild. (INDIEKINO Magazin, 01/2024)