Pamela Jahn: Frau Weisse, Ihr Film ZIKADEN spielt in der brandenburgischen Provinz. Gab es dafür einen bestimmten Grund?
Ina Weisse: Die Gegend ist mir vertraut. Es gibt dort Orte, an denen ich schon lange drehen wollte, wie zum Beispiel die alte Eisenbahnrücke, auf der sich die Frauen kennen lernen. Die Geschichte geht von realen Orten aus und auch von Personen, die mir nah sind, meine Eltern spielen die Eltern von Nina Hoss, aber darüber hinaus ist es natürlich eine fiktive Erzählung.
Empfinden Sie es als eine Art Grenzüberschreitung, die Sie mit dieser Vermischung von Realität und Fiktion begehen?
Nein, gar nicht. Es hilft von etwas auszugehen, dass einem vertraut ist. Und was mich interessiert hat, war die Suche einer anderen, offeneren Arbeitsweise. Vorher kam ich mit einer Geschichte nicht weiter. Ich konnte meine eigenen Plots nicht mehr ertragen. Ich habe dann meine Kamera genommen und bin von einer Figur ausgegangen, von einem Kind. Ich wollte einen Film über das Aufwachsen eines Mädchens drehen, der sich über mehrere Jahre erstreckt. Ich habe dafür verschiedene Kinder gecastet, bis ich schließlich Greta gefunden habe. Dann kam die Mutter dazu, gespielt von Saskia Rosendahl und Nina Hoss, mit der ich unbedingt wieder zusammenarbeiten wollte. Ich fand es spannend, von diesen beiden Frauen zu erzählen, die so unterschiedlich sind in ihrer Herkunft und den Milieus, in denen sie groß geworden sind. Ich habe die Geschichte um sie herum gebaut und mich gefragt, ob eine echte Freundschaft zwischen den beiden möglich ist.
Vielleicht sogar mehr als eine Freundschaft?
Das würde ich offen lassen.
Zumindest werden Anja und Isabell zu Komplizinnen, würden Sie soweit mitgehen?
Absolut. Nur, ob Ninas Figur das am Ende gut findet, ist unklar. Interessant finde ich, dass man beim Zuschauen verschiedene Schlüsse aus ihrem Handeln ziehen kann. Da geht es um das eigene Menschenbild, um die eigene Erfahrung, wie man die Frauen wahrnimmt. Will man, dass diese vier Generationen, die sich da gefunden haben, am Ende zusammenbleiben? Gibt es plötzlich ein Zuhause für Anja? Und inwieweit hat sie sich in diese fremde Familie hineingedrängt? Die Rolle von Saskia ist in der Hinsicht ja auch undurchsichtig.
Was verbindet die beiden Frauen?
Dass sie in einer schwierigen Phase ihres Lebens aufeinandertreffen. Dass sie kämpfen, funktionieren müssen und sich vor allem um andere kümmern und dass sie eine Sehnsucht nach einem anderen Leben haben. Sie suchen ihren Platz, sie ringen um Selbstbestimmung. Sie sind zerrissen, scheu und verletzlich. Auf dieser emotionalen Ebene treffen sie sich. Sie spüren das Verlorensein der anderen. Es geht um Scham, um Stolz und um Würde. Letztlich um Identität.
Was für ein Leben wünscht sich Isabell?
Sie will sie eine gute Architektin sein. Sie wollte im Büro ihres Vaters arbeiten. Aber dann kam sein Schlaganfall dazwischen. Angestrengt von ihren eigenen Ambitionen, arbeitet sie sich an ihrem Vater ab. Sie wollte mit ihrem Mann ein Kind. Aber bestimmte Dinge sind für sie nicht in Erfüllung gegangen. Sie ist unzufrieden mit sich, obwohl es nach außen so scheint, als hätte sie ihr Leben im Griff. Sie will die Kontrolle behalten, aber ihr gleitet alles immer mehr aus den Händen. Es ist die Beschreibung eines Zustands der Unsicherheit. Bei Anja dagegen sind es Kämpfe um ihre Existenz. Es sind Wünsche wie ein eigenes Zuhause, eine passende Arbeit, die ihr auch Zeit mit ihrem Kind lässt.
Ist der Konflikt, nicht zu genügen, unter dem Isabell und Anja leiden, auch ein persönlicher?
Sicher. Ich denke immer, ich könnte es besser machen.
Wie war es für Sie, Ihren Vater und Ihre Mutter in den Film zu integrieren?
Ganz natürlich eigentlich. Ich hatte mit meinem Vater bereits in meinem Dokumentarfilm über die Neue Nationalgalerie zusammengearbeitet, weil er früher als Architekt im Büro von Mies van der Rohe in Chicago gearbeitet hat.
Dafür stellte er mir auch Archivmaterial zur Verfügung, das er damals selbst mit einer Kamera gedreht hat. Er meinte, es seien die einzigen Aufnahmen, die Mies bei der Arbeit zeigen. Es war für uns beide eine gute Erfahrung, diesen Film zu machen. Und als es darum ging, die Eltern in ZIKADEN zu besetzen, dachte ich mir, warum eigentlich nicht.
Wie haben die beiden auf Ihre Idee reagiert?
Meine Mutter war zuerst etwas scheu, aber dann überwog ihr Interesse. Ich hatte sie bei verschiedenen Gelegenheiten in der Vergangenheit immer wieder gefilmt und wusste dadurch, dass sie vor der Kamera unbefangen sein konnte. Bei beiden hat mich nicht die Darstellung der Alltagssituationen interessiert, die im Alter immer komplizierter werden und die sich jeder vorstellen kann, sondern es ging mir vor allem um die psychischen Folgen. Um das Ankämpfen gegen den zunehmenden Verlust von Unabhängigkeit. In der Arbeit führte der schmale Grat zwischen nicht-professioneller Darstellung und Schauspiel zu einer andere Dimension im Zusammenspiel. Es entstand ein freierer Raum, etwas Unverstelltes.