Patrick Heidmann: Stimmt es, dass die Geschichte von WENN DER HERBST NAHT von persönlichen Erfahrungen inspiriert ist?
François Ozon: Sagen wir es mal so: Eine Erzählung aus meiner Kindheit war der Auslöser für diesen Film. Damals hatte meine Großtante im Wald Pilze gesammelt und Abendessen für die gesamte Familie gekocht. Am Ende waren alle krank, nur sie nicht, weil sie selbst gar nichts gegessen hatte. Einige Verwandte mussten sogar ins Krankenhaus.
Sie auch?
Nein, ich war bei dem Essen nicht dabei. Aber meine Eltern haben mir die Geschichte erzählt. Und obwohl ich wusste, dass das Ganze natürlich ein Versehen war, war ich begeistert. Der Gedanke, dass meine Großtante um ein Haar meine ganze Familie ermordet hätte, gefiel mir als Kind mit abgründigem Humor und Sinn fürs Perverse sehr. Als ich darüber nachdachte, einen Film über zwei ältere Frauen auf dem Land zu drehen, erschient mir diese Familienanekdote jedenfalls als ein guter Ausgangspunkt.
WENN DER HERBST NAHT ist nicht der erste Ihrer Filme, in dem der Tod eine wichtige Rolle spielt. Würden Sie sagen, dass das Thema Sie sehr beschäftigt?
Mal mehr, mal weniger. Ich bin nicht so morbide, dass ich mich Tag ein, Tag aus damit auseinandersetzen würde. Aber immer mal wieder ist der Tod durchaus präsent in meinen Gedanken, was im Übrigen ganz unterschiedliche Gestalt annehmen kann. Im Fall dieses Films war es mir beispielsweise wichtig, die versöhnliche Seite des Todes zu zeigen. Oder zumindest die Tatsache, dass es mitunter einfacher ist, mit einem Geist zu kommunizieren als mit einer realen Person. Die Mutter-Tochter-Beziehung in WENN DER HERBST NAHT ist ja eine echt toxische, zwischen den beiden ist jede Kommunikation wirklich unmöglich. Selbst in so einem Fall ist es aber möglich, dass man wenigstens im Tod dann doch seinem Gegenüber verzeiht und seinen Frieden findet.
Ihren abgründigen Humor haben Sie selbst schon erwähnt, und es wäre durchaus vorstellbar, die Geschichte von WENN DER HERBST NAHT weniger als dramatischen Thriller und sehr viel komödiantischer zu erzählen. Wie haben Sie den geeigneten Tonfall für den Film gefunden?
Zunächst einmal haben für mich die beiden Protagonistinnen Tonfall und Tempo des Films vorgegeben. Ich wollte nicht ins Surreale oder Absurde abheben, sondern so realistisch wie möglich bleiben. Die beiden sind Rentnerinnen, die ein sehr einfaches Leben führen, daran hat sich der Erzählrhythmus orientiert. Die Frage nach dem Ton ist eine, die mich meine Produzenten auch immer fragen, dabei mache ich mir darüber gar nicht so viele Gedanken. Wie witzig ein Film wird oder eben nicht, merke ich selbst meistens erst beim Drehen, wenn ich mit den Schauspielerinnen und Schauspielern arbeite. Ein Großteil des Humors in WENN DER HERBST NAHT verdankt sich zum Beispiel dem Schauspieler Pierre Lottin, durch den viele Dialoge plötzlich sehr viel amüsanter wurden als gedacht. Denn als Komödie war die Geschichte nie angelegt, schließlich hatte ich mit MEIN FABELHAFTES VERBRECHEN gerade erst eine gedreht.
Ist das für Sie entscheidend? Dass Sie mit jedem Film etwas anderes machen als mit dem davor?
Über solche Fragen machen Sie sich vermutlich viel mehr Gedanken als ich. Denn ich folge eigentlich nur meinem Instinkt. Aber sehr häufig ist mein Impuls tatsächlich der, nicht zweimal nacheinander ähnliches zu machen. So wie es auch das Motto von François Truffaut war, jeden neuen Film in Opposition zum vorangegangenen zu machen. Nach einer aufwändigen Produktion habe ich also oft Lust auf ein eher bescheidenes Budget, nach einer überdreht-theatralischen Geschichte auf eine realistische. Ich will mich einfach nicht langweilen.