Filmgespräch

Rúnar Rúnarsson über WENN DAS LICHT ZERBRICHT: „Es sollte immer auch ein bisschen Poesie in die Realität miteinfließen.“

WENN DAS LICHT ZERBRICHT ist bereits der vierte Spielfilm des isländischen Regisseurs Rúnar Rúnarsson (*1977 in Reykjavik), aber der erste seiner Filme, der in Deutschland zu sehen ist. Im Interview spricht Rúnarsson über die Dreharbeiten mit den jugendlichen Darsteller*innen und das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit in seinen Filmen.

Pamela Jahn: Herr Rúnarsson, Sie haben an anderer Stelle angedeutet, dass dieser Film für Sie sehr persönlich ist ...

Rúnar Rúnarsson: Ich möchte dazu nur sagen, dass er zwei Freunden gewidmet ist, die viel zu früh von dieser Welt gegangen sind. Sie hatten einen enormen Einfluss auf mein eigenes und das Leben anderer Menschen. Ohne sie hätte ich diesen Film niemals gedreht. Aber wenn Sie jetzt fragen: Ist es ihre Geschichte oder eine Geschichte, die mit ihnen verflochten ist? Dann muss ich sie enttäuschen. Ich unterscheide nicht mehr zwischen dem, was ich aus erster Hand erfahren habe, dem, was ich aus zweiter Hand erfahren habe, und dem, was Fiktion ist, weil das nicht relevant ist.

Wie wirkt sich diese Art der Herangehensweise auf Ihren Schreibprozess aus?

Für mich ist es wichtig, mich von der Wirklichkeit inspirieren zu lassen. Alles, worüber ich schreibe, basiert auf eigenen Begegnungen, Erlebnissen oder Erfahrungen aus zweiter Hand, gemischt mit fiktionalen Elementen. Das ist der Treibstoff für meine Arbeit. Es ist wichtig, dass ich mich in diesem kreativen Rahmen bewege, denn sonst empfinde ich das Schreiben als pure Konstruktion, es langweilt mich. Mich interessieren die grundlegenden menschlichen Elemente, die uns verbinden. Ich beobachte, wie ich mich selbst und wie sich die Menschen um mich in diesen Situationen reflektieren. Man könnte es vielleicht eine spezielle Art von Handwerkskunst nennen.

Verfolgen Sie eine ähnliche Kunstfertigkeit auch beim Regieführen?

Ja. Ich liebe das Kino und möchte, dass die Dinge auf der Leinwand gut aussehen und sich gut anfühlen. Aber wir sollten immer versuchen, die Töne, die Bilder und das Drehbuch zu nutzen, um gemeinsam etwas zu vermitteln, nicht nur um etwas zeigen oder festzuhalten. Hinter den Bildern muss ein Gedanke stehen, und es sollte immer auch ein bisschen Poesie in die Realität miteinfließen, die wir darstellen wollen.

Wie strikt halten Sie sich bei der Inszenierung an Ihr Drehbuch?

Es ist immer ein Drahtseilakt: Man möchte offen für Veränderungen bleiben und gleichzeitig seiner ursprünglichen Vision treu bleiben. Es geht also darum, die richtige Balance zu finden, offen zu bleiben, Lösungen finden und dabei das Wesentliche von dem zu bewahren, was man erreichen möchte. Nicht zu unterschätzen ist dabei allerdings auch die spontane Magie, die während der Dreharbeiten entsteht.

Wie der Zauber des Lichts?

Ja, das Licht hat eine enorme Bedeutung. Der Film spielt im Frühsommer in Reykjavik, und die sogenannte „magische Stunde“ dehnt sich dort im Vergleich zu weiter nördlich gelegenen Orten ziemlich aus. Je länger sie dauert, desto besonderer ist das Licht zu dieser Zeit.

Sie erzählen im Film die Geschichte eines trauernden Mädchens im Teenageralter. Gleichzeitig hinterfragt der Film den Umgang mit Geschlechterrollen ...

Ich sehe mich selbst als Humanist. Das Geschlecht ist mir egal. Es spielt für mich keine Rolle. Wir sind alle Menschen. Aber seltsamerweise gibt es immer noch nicht genug Geschichten über junge Frauen. Ich bin privilegiert, denn ich habe drei ältere Schwestern und eine Mutter, eine Frau und eine Tochter. Sogar meine Produzentin ist weiblich, ebenso wie meine Kamerafrau. Generell arbeite ich lieber mit Frauen, weil sie sensibler sind. Sie sind weiser und ausgeglichener in ihren Emotionen. Ich möchte dazu beitragen, dass ihre Geschichten erzählt werden.

Warum fällt es unserer Gesellschaft heute so schwer, Gefühle wie Trauer und Schmerz zuzulassen?

Weil sie Schwäche implizieren. Außerdem sind wir in Systeme integriert, die uns pausenlos dazu drängen, nach einem besseren Leben zu streben. Und in diesem Modell haben negative Gedanken und Einflüsse keinen Platz. Unser ständiger Konsumwahn hat uns in vielerlei Hinsicht einen Großteil unserer Emotionsfähigkeit genommen – ich bin selbst ein Opfer davon.

Spielt Alter eine Rolle?

Bei der Arbeit an diesem Film habe ich zumindest erkannt, dass ich längst nicht mehr der Jüngste bin. Durch die Zusammenarbeit mit den Schauspieler*innen wurde mir bewusst, dass die jungen Leute heute eigentlich viel offener darüber sprechen können, wie sie sich fühlen. Sie sind unvoreingenommener und netter zueinander. Sie übernehmen mehr Verantwortung dafür, wie sie miteinander ebenso wie mit Umwelt- und humanistischen Themen umgehen. Das ist ermutigend.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit der jungen Besetzung erlebt?

Der wichtigste Schritt war, die richtigen Hauptdarstellerinnen zu finden, denn alles andere ist um sie herum gebaut. Wir probten mit dem Drehbuch, aber auch mit fantasievollen Szenen und Improvisationen, um ihre Grenzen auszutesten, ihre Chemie zu prüfen und zu sehen, wie sie miteinander arbeiten – auch mit mir als Regisseur. Die Schauspieler*innen müssen mir vertrauen, um sich auf Unbekanntes einzulassen und verletzlich zu sein. Denn wenn sie sich sozusagen von der Klippe stürzen, müssen sie wissen, dass ich da bin, um sie aufzufangen. Und nur wenn sie keine Angst haben, es noch einmal zu versuchen funktioniert die Zusammenarbeit. Das Schlimmste, was einem Schauspieler oder einer Schauspielerin passieren kann, ist, sich allein gelassen zu fühlen. Dann fangen sie an, sich selbst zu inszenieren oder sie schotten sich ab.

Die Musik im Film stammt von Jóhann Jóhannsson, der 2018 viel zu früh verstorben ist. Wann hat er den Score komponiert?

Ende der 1990er, Anfang der 2000er Jahre. Allerdings er hatte die Komposition ursprünglich für ein Theaterstück geschrieben, nicht für den Film. Nur ist es so, Island ist ein kleines Land. Jóhann und ich sind in derselben kleinen Straße aufgewachsen. Er war eine Generation älter als ich. Mein ganzes Leben lang habe ich zu ihm aufgeschaut. Und seit ich dieses Stück zum ersten Mal hörte, war ich fasziniert davon. Für mich fängt er darin die Essenz der Menschheit ein. Wenn es einen Gott gibt oder etwas Göttliches, dann ist es diese Musik.

War es eine besondere Herausforderung für Sie, die Bilder der Musik anzupassen, und nicht umgekehrt?

Nein, ich höre das Stück schon seit Jahren und kenne es sehr gut. Schwieriger war es, mich an die Situation anpassen. Normalerweise arbeite ich mit Kjartan Sveinsson von Sigur Rós zusammen. Er hatte die Band verlassen, aber dann kehrte er zurück, um ein neues Album mit ihnen aufzunehmen, und sie gingen wieder gemeinsam auf Tour. Zu diesem Zeitpunkt musste mit dem Schnitt beginnen. Normalerweise komponiert Kjartan etwas im Voraus oder während ich drehe, und wir arbeiten sehr flüssig zusammen. Er hat immer meine Musik gemacht, aber plötzlich war er nicht mehr verfügbar. Nur so kam mir Jóhanns Musik überhaupt in den Sinn.

Welcher Gedanke hat Sie am meisten bewegt bei der Arbeit an dem Film?

Vielleicht, dass ich ihn nicht früher gemacht habe. Anderseits braucht eine gewisse Reife, um sich auf die Geschichte einzulassen.

Persönliche Reife?

Ja, aber auch emotionale.

Glauben Sie an die heilende Kraft des Kinos?

Unbedingt. Ich liebe es, im Schutz der Dunkelheit mit einem Spiegel der Realität konfrontiert zu werden, in dem ich mich selbst sehen kann. Wenn wir nicht über uns selbst reflektieren, können wir auch die Menschen um uns herum nicht wahrnehmen - und das ist für uns, die wir in Gemeinschaften leben, unerlässlich. Filme können uns auch an andere Ort versetzen. Selbst wenn wir die Wege dorthin, nicht immer gehen möchten. Oder vielleicht ohne, dass uns bewusst ist, was uns am Ende der Reise erwartet. Das ist das Schöne am Kino, seine Unberechenbarkeit.

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