Filmgespräch

Abderrahmane Sissako über BLACK TEA: " In Guangzhou kann es vorkommen, dass sie auf einer belebten Straße innerhalb von zehn Metern sechs oder sieben Sprachen hören."

Patrick Heidmann

Der Regisseur und Produzent Abderrahmane Sissako wurde 1961 in Mauretanien geboren, wuchs in Mali auf, lebte 12 Jahre in Moskau, wo er auch Film studierte, und zog Anfang der 1990er Jahre nach Paris. Wiederkehrende Themen seiner Filme sind Exil, Globalisierung und Kolonialismus.

Patrick Heidmann: Herr Sissako, Aya, die Protagonistin Ihres neuen Films BLACK TEA, kommt von der Elfenbeinküste nach Guangzhou in China, wo sie in einem Teeladen arbeitet, die Kunst der Teezeremonien lernt und sich in den Besitzer verliebt. Was verbindet Sie selbst mit Tee? Und was symbolisiert er in Ihrem Film?

Abderrahmane Sissako: Rituale rund um Tee gibt es nicht nur in China und anderen ostasiatischen Ländern. In meiner Heimat Mauretanien zum Beispiel haben wir auch eine besondere Tee-Zeremonie, die mehrmals am Tag begangen wird. Ich bin also sehr vertraut mit dem Thema Tee – und finde, darin liegt eine große, kulturübergreifende Kraft. Gleichzeitig war mein Gedanke zu zeigen, wie Aya das Herz des Mannes, den sie liebt, dadurch erobert, dass sie sich seiner Kultur annimmt. Für sie sind der Tee und die damit zusammenhängende Zeremonie nicht nur ein Weg, ihm Respekt zu zollen, sondern auch Intimität und Nähe herzustellen, im mehrfachen Wortsinn.

Womit nahm diese Geschichte eigentlich Ihren Anfang?

Wahrscheinlich kann man sagen, dass die Idee zu diesem Film ihren Ursprung vor über 20 Jahren hatte. Damals fingen Chinesen an, in afrikanische Städte zu ziehen oder ihre Läden und Geschäfte zu eröffnen. Ein bisschen so, wie man es auch aus den Chinatown-Vierteln in New York oder London kennt. Bereits 2002 gab es in meinem Film REISE INS GLÜCK eine Szene, in der ein chinesischer Mann mit einer jungen Afrikanerin zu Abend isst.

Eines der Themen des Films ist Globalisierung. Häufig geht es im Kino dieser Tage düster und pessimistisch zu, wenn von der Zukunft unserer Welt die Rede ist. Ihr Blick scheint dagegen sehr viel zarter, sogar hoffnungsvoller zu sein …

Genau das war meine Absicht. Mir war es wichtig, im Kontext von Migrationsbewegungen, die vom afrikanischen Kontinent ausgehen, nicht nur von Furcht und Verzweiflung zu erzählen. Genauso wie ich ein Bild von China zeichnen wollte, das man so nicht jeden Tag im Kino sieht. Geschweige denn, dass Afrika und China schon einmal so auf der Leinwand miteinander kontrastiert und verschmolzen wurden. Wir leben heute in einer globalen Welt, und das ist nichts Schlechtes. Die Menschheit war schon immer geprägt von konstanten Strömungen und Bewegungen. Verschiebungen und Reisen, nicht von Individuen, sondern ganzen Völkern hat es immer schon gegeben. Sich abzuschotten und andere aussperren zu wollen, halte ich auf lange Sicht für unmöglich. Aber darin sehe ich eben nicht Gefahr oder Schrecken, sondern glaube, dass die Unausweichlichkeit, dass wir uns alle begegnen und miteinander vermischen, eine Chance ist.

Ist BLACK TEA auch deswegen ein Ensemblefilm, um eben jene Begegnungen deutlicher abbilden zu können?

Das könnte man sicherlich so sagen. Natürlich ist Aya das Zentrum des Films, doch mir war es ganz wichtig, dass sie nicht zum Emblem der afrikanischen Frau wird, die im Alleingang gegen die Mühlen der Gesellschaft ankämpfen muss und alle Last der Welt auf ihrem Rücken trägt. Deswegen war zum Beispiel eine Figur wie Ying, die Ex-Ehefrau des Teeladen-Besitzers Cais, als Gegenpol so wichtig. Aya versteht sofort, dass auch diese Frau zu kämpfen hatte und gelitten hat. Oder die Frisörin Douyue, die davon träumt, eines Tages nach Afrika zu gehen, weil sie nach schlechten Erfahrungen in ihrer chinesischen Heimat glaubt, dort seien alle Ehemänner großartig. Sie und alle anderen Figuren wollte ich dazu nutzen zu zeigen, dass wir uns alle in unseren Träumen und Sehnsüchten, unseren Verletzungen und Glücksgefühlen überall sehr ähnlich sind. Und dass das meiste, was wir von anderen Kulturen und Gesellschaften im Kopf haben, engstirnige Klischees sind, die mit der Realität selten viel gemein haben.

Woran haben Sie mit Ihren Hauptdarsteller*innen besonders gearbeitet?

In der Arbeit mit Nina Mélo lag ein großer Fokus natürlich auf der Tatsache, dass sie Chinesisch lernen musste. Dafür hat sie sehr intensiv mit einem Coach zusammengearbeitet, und ich war unglaublich beeindruckt, was sie geschafft hat. Aber wir haben auch viel Zeit darauf verwendet, Ayas Psychologie zu durchdringen. Nina selbst ist in ihrer Persönlichkeit ganz anders, sie ist Boxerin und eine echte Kämpfernatur. Die Rolle verlangte ihr eine vollkommen andere Seite ab. Gemeinsam haben wir auch an Ayas Frisuren gearbeitet, denn mir war wichtig, ganz klar ihre afrikanische Herkunft über die Haare zu zeigen, allerdings auch asiatische Einflüsse sichtbar zu machen.

Und Chang Han, der den Cai spielt?

Die Kollaboration mit ihm war eine andere, weil es da natürlich eine Sprachbarriere gab. Ich spreche kein Chinesisch, er kein Französisch, also mussten wir uns in der Kommunikation auf Übersetzer verlassen. Meine Aufgabe war es vor allem, für ihn nachvollziehbar zu machen, warum seine Figur sich in Aya verliebt. Viele chinesische Männer würden das für sich vermutlich ausschließen, weil sie verinnerlicht haben, alles, was fremd und anders ist, erst einmal abzulehnen. Aber ich bin ein Optimist, selbst was Rassismus angeht. Ich glaube, solche Verhaltens- und Denkmuster sind in vielen Fällen nichts, was echter, ideologische Überzeugung entspringt, sondern nur angelernt und damit überwindbar ist.

Wo Sie gerade die Sprachbarriere beim Drehen erwähnen: Wie groß war die Herausforderung, im Film ganz unterschiedliche Sprachen zum Einsatz kommen zu lassen?

Ich empfinde das immer eher als spannend denn als schwierig. In meinem vorangegangenen Film TIMBUKTU vor elf Jahren waren ja auch schon fünf verschiedene Sprachen zu hören. In unserer heutigen Welt ist das auch nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil. In Guangzhou kann es vorkommen, dass sie auf einer belebten Straße innerhalb von zehn Metern sechs oder sieben Sprachen hören. Diese Vielfalt existiert, sie ist der Motor der Welt und ein großer Schatz. Wenn ich als Künstler so etwas registriere, dann ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, das auch in meiner Arbeit abzubilden. Aber darf ich in diesem Kontext noch etwas ergänzen?

Selbstverständlich, nur zu!

Einfach weil wir gerade beim Thema Sprachen sind. Ich glaube, dass Europa und die westliche Welt großen Nachholbedarf haben, was das Verständnis von Mehrsprachigkeit und Sprachenvielfalt angeht. Dass in einem Film oder eben in einem Land mehr als eine Sprache gesprochen wird, ist für viele dort irgendwie immer noch irritierend. In Afrika dagegen gibt es Länder, in denen es hunderte verschiedene Sprachen gibt. In China ist es kaum anders. Und wenn sich in Guangzhou jemand aus Kenia und jemand aus dem Senegal begegnen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie sich auf Chinesisch unterhalten.

Das Stichwort Rassismus fiel gerade schon. Verstehen Sie BLACK TEA auch als ein antirassistisches Statement?

Ich denke zumindest nicht, dass mein Film das Thema Rassismus ausblendet. Auch ich persönlich würde mich davor hüten, das Thema kleinzureden. Im Gegenteil. Rassismus ist auf unserer Welt allgegenwärtig, es gibt ihn natürlich in Europa, wo Menschen Angst vor denen haben, die von anderen Kontinenten kommen und Zuflucht suchen. Aber eben auch von Ägyptern gegenüber Tunesiern und überhaupt in jedem Land der Welt.
In BLACK TEA positioniert sich diesbezüglich Cais Sohn gegen seinen Großvater, und ich hoffe, ich täusche mich nicht, wenn ich glaube, dass die jungen Generationen heute vielfach offener und weiter sind als die vor ihnen. Ohnehin meine ich zu beobachten, dass sich in China und bei chinesischen Menschen in Sachen Intoleranz viel schneller Positionen verändern als etwa in der westlichen Welt, wo der Rassismus durch den Kolonialismus quasi institutionalisiert wurde. Viele der Chinesinnen und Chinesen, die heute in afrikanische Länder kommen, um Geschäfte zu machen, lernen die dortigen Sprachen. Ich habe auf dem Markt in Dakar schon chinesische Verkäuferinnen Wolof sprechen hören. Oder Kiswahili. Das ist neu – und das ist die Zukunft. In all den Jahrhunderten, in denen die Engländer und Franzosen nach Afrika kamen, haben sie nie unsere Sprachen gelernt. Deswegen glaube ich fest daran: Wer sehen will, wohin sich unsere Welt entwickelt, muss an Orte wie die Chocolate City in Guangzhou kommen. Dort kann man schon jetzt unsere Zukunft sehen.

Apropos Guangzhou: Gedreht haben Sie nicht dort, sondern in Taiwan. Warum eigentlich?

Ganz einfach: in China bekamen wir keine Drehgenehmigung. Als sich nach Monaten des Versuchens nichts machen ließ, habe ich mich für Plan B entschieden. Das Drehen in Taiwan brachte einige Vorteile mit, schon weil dort alles viel übersichtlicher ist als in China. Aber nicht zuletzt durch die neue Location entschloss ich mich auch, BLACK TEA überwiegend nachts und im Dunklen spielen zu lassen. Nicht, um etwas zu verstecken. Sondern um das Traumartige dieser Geschichte zu betonen und den Film von den Fesseln der Realität zu befreien.

Patrick Heidmann

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