„Winnipeg ist eine sehr ironische Stadt“, sagt Matthew Rankin, dessen Film UNIVERSAL LANGUAGE in dieser Woche in die deutschen Kinos kommt, und dessen seltsame Geschichte in einem Parallel-Winnipeg spielt, in dem alle Einwohner*innen Farsi sprechen. Die Suche nach Mitteln, um einen im Eis eingefrorenen Geldschein zu befreien, führt zwei Kinder auf eine Odyssee durch eingeschneite brutalistische Bauten und bizarre Blumengeschäfte, in denen man nur leise sprechen darf, um die Gefühle der Blumen nicht zu verletzen, oder in Läden, in denen nur Papiertaschentücher verkauft werden.
UNIVERSAL LANGUAGE begeisterte auch den ebenfalls kanadischen Regisseur Denis Villeneuve (DUNE, ARRIVAL, ENEMY). Im Interview mit Villeneuve erklärt Rankin seine Liebe für das iranische Kino, vor allem für Jafar Panahis DER WEISSE BALLON und Abbas Kiarostami, beruft sich aber auch auf die Tradition seltsamer, quasi-surrealistischer Filmemacher aus Winnipeg, vor allem auf John Paizs und Guy Maddin.
John Paisz ist Mitglied der 1975 gegründeten Winnipeg Film-Group, die sich nach einer Konferenz in Winnipeg gründete, um unabhängige Filme zu produzieren und zu verleihen. Zu der Gruppe gehörten auch der spätere Oskar-Gewinner Denys Arcand (DER UNTERGANG DES AMERIKANISCHEN IMPERIUMS,1986; DIE INVASION DER BARBAREN, 2006) und Colin Low, dessen exzellenter Dokumentarfilm CITY OF GOLD (1957) über den letzten nordamerikanischen Goldrausch in Dawson City am Yukon neue Standards setze: Der Stil des bekanntesten US-Dokumentaristen Ken Burns (THE VIETNAM WAR, COUNTRY MUSIC) ist beispielsweise stark von CITY OF GOLD geprägt, vor allem die langsamen Kamerafahrten über Archivfotografien, um auf Details aufmerksam zu machen, oder um erst langsam den Kontext zu enthüllen.
In CITY OF GOLD fällt ein Satz, der die Mischung aus wie Ironie wirkender Ernsthaftigkeit und zufriedener Melancholie einfängt, die oft die Stimmung kanadischer Filme ausmacht. Die Szene erzählt von einer gemeinsamen Feier des US-amerikanischen „Independence Day“ und des kanadischen „Dominion Day“ am 4. Juli 1898, auf dem Höhepunkt der Goldrausches. Während die Kamera über die Gesichter der erschöpft wirkenden Männer auf einer während des Festes aufgenommen Fotografie fährt, sagt der Erzähler und Historiker Pierre Berton: „Es ist kaum zu glauben, aber nachdem sie den ganzen Weg hierher gekommen waren, fingen viele gar nicht erst an, nach Gold zu suchen. Es war, als hätten sie schon gefunden, was sie suchten.“ Goldsucher, die kein Gold suchen, sondern zufrieden damit sind, die Goldsuche selbst gefunden zu haben. Mit einem ähnlichen Motiv beginnt auch (THE BIG) CRIME WAVE von John Paizs, die vierte Produktion der Winnipeg Film Group.
In John Paizs (THE BIG) CRIME WAVE (1985) erzählt ein enthusiastisches 15-jähriges Mädchen von einem schweigsamen jungen Mann, der über der Garage ihrer Eltern wohnt und beim Licht einer Straßenlaterne versucht, „Coloured Crime Movies“ zu schreiben. Es gelingt ihm aber in seinen Plots über Star-Imitatoren, Versicherungsverkäufer und Selbsthilfe-Autoren, die versuchen „The Top“ zu erreichen, immer nur, den Anfang und das Ende zu schreiben. CRIME WAVE ist ein wildes Amalgam aus Genrekino-Zitaten und hyperbolischen Dokumentarfilmen mit einem Plot, der in naiv-komischen Tonfall eine eigentlich tragische Geschichte erzählt. Der Film wurde in Kanada zu einem Kultfilm. Paizs drehte später vor allem Comedy- und Kinder-Abenteuer-Serien für das Fernsehen.
John Paizs (geb. 1958) und Guy Maddin (geb. 1956) wiederum waren Kommilitonen an der Universität von Manitoba, und Maddin kannte schon Paizs‘ Kurzfilme. Maddins eigener Mix aus Stummfilmästhetik und anderen älteren Filmformen ist eine ganz eigene Form, aber wie Paisz und auch Panahi und Kiarostami gibt es in Madddins Filmen wie THE SADDEST MUSIC IN THE WORLD, BRAND UPON THE BRAIN, THE HEART OF THE WORLD oder MY WINNIPEG oft eine quasi-naive Position des Erzählens. Während Panahi, Kiarostami, John Paizs und Matthew Rankin aus der Perspektive von Kindern oder sehr jungen Leuten erzählen, übernimmt in Maddins Filmen das frühe Kino diese Rolle einer naiven Erzählperspektive, aber auch in seinen Filmen wimmelt es von jungen Wissenschaftlerinnen und Teen-Detektivinnen, die immer auf der Suche nach tiefsten Wahrheiten sind oder das schlagende „Herz der Welt“ retten wollen.
Mit UNIVERSAL LANGUAGE hat sich Matthew Rankin in diese Tradition gestellt, auch wenn es hier nur um einen Geldschein mit eher niedrigem Wert geht.