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Hendrike über WAS WILL DER LAMA MIT DEM GEWEHR?

Bhutan 2008: Der König führt die Demokratie ein. Vor dem Hintergrund der ersten freien Wahlen hat Pawo Choyning Dorji eine sanftmütige Satire über das Demokratieverständnis in Ost und West angesiedelt.

Im Jahr 2008 danke der König des kleinen, knapp 800.000 Bewohner*innen umfassenden Berglandes Bhutan ab und ebnete den Weg zu einer konstitutionellen Demokratie: Erstmals sollte die Nationalversammlung aus direkt gewählten Vertretern bestehen. Regisseur Pawo Choyning Dorji, dessen Debut LUNANA als erster bhutanischer Film überhaupt bei den Oscars 2022 nominiert war, siedelt seine sanftmütige Satire in der Zeit vor den Wahlen an. Die Walleiterin reist mit ihrem Team durch das Land, um die Bevölkerung in Testwahlen auf das Ereignis vorzubereiten. Das ist kein einfaches Unterfangen, denn nicht alle stehen den Veränderungen positiv gegenüber: Der König ist beliebt, und die Leute sind zufrieden mit dem Status Quo.

Die Tücken der geschenkten Demokratie führen zu allerlei skurrilen Situationen, etwa wenn die Registrierung der Wählerinnen schon daran scheitert, dass niemand sein Geburtsdatum bisher für wichtig gehalten hatte, oder dass die Testwahl überwiegend für die „gelbe“ Partei ausfällt - mutmaßlich deshalb, weil Gelb die Farbe des Königshauses ist. In dieser aufgeheizten Situation beschließt der alte Lama (gespielt von einem echten Lama, Kelsang Choejey), dass etwas geschehen muss und beauftragt seinen Assistenten Tashi (Tandin Wangchuk), ihm zwei Gewehre zu besorgen. Das ist knifflig in dem überwiegend buddhistischen Land, in dem Waffenbesitz streng geahndet wird, und nicht nur die Zuschauerinnen, sondern auch alle Menschen, die Tashi nach einer Waffe fragt, rätseln „Was will der Lama mit Gewehren?“

Die Frage hält einen Film zusammen, dessen einzelne Handlungsstränge lange Zeit eher nebeneinanderher zu laufen scheinen: Während die Wahlleiterin versucht, die Bevölkerung von der neuen Errungenschaft namens „Demokratie“ zu überzeugen, kommt es im Dorf Ura zu Unfrieden zwischen den neuen Gruppierungen. Die kleine Yuphel wird in der Schule gemobbt, weil ihr Vater die Partei für Industrialisierung unterstützt und nicht die des Dorfvorstehers. Neben dem Mönch Tashi ist zudem noch jemand anderes auf der Suche nach einer Waffe. Ein dubioser amerikanischer Waffenhändler namens Coleman (Harry Einhorn) vermutet in Ura ein antikes Gewehr aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs, für das er viel Geld zu bieten bereit ist.

Im bedächtigen Tempo Bhutans verwebt Dorji diese Geschichten zu einem verschmitzten Tableau, das einerseits einen Blick auf ein Land im Umbruch zu Demokratie, Industrialisierung und Medialisierung (Bhutan war 1999 das letzte Land der Erde, das das Fernsehen einführte) wirft, und andererseits freundlich aber bestimmt gegen jene austeilt, die sich selbst für die Avantgarde der Moderne halten, während sie zugleich tödliche Waffen und Geld anbeten, und in polarisierenden Wahlkämpfen Wahrheit und Mitmenschlichkeit mit den Füßen treten. WAS WILL DER LAMA MIT DEM GEWEHR? erinnert damit auch daran, dass Demokratie kein Selbstläufer ist, sondern von denen, die sie ausüben, gehegt, gepflegt und geschätzt werden muss.

Auf dem fein orchestrierten Höhepunkt des Films, dem Ritual des Lamas am Vorabend der Wahl, finden schließlich alle Geschichten zusammen, stehen sich die vermeintliche Naivität der Landbevölkerung und der Zynismus der Stadt und des Westens in einem finalen Showdown gegenüber und wird endlich die Frage geklärt, was der Lama eigentlich mit dem Gewehr will. (INDIEKINO Magazin, 06/2024)

Hendrike Bake

MA Filmwissenschaft University College Dublin. Seit 2000 in Kinosachen unterwegs als Filmvorführerin, Kuratorin, Organisatorin und Filmkritikerin. Herausgeberin des INDIEKINO Magazins. Der beste Film aller Zeiten ist DAYS OF BEING WILD.

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Tipp von Hendrike

Was will der Lama mit dem Gewehr?

‘Im bedächtigen Tempo Bhutans verwebt Pawo Dorji die unterschiedlichen Handlungsstränge zu einem verschmitzten Tableau.’