**
Pamela Jahn: Herr Ryan, Sie sind vor allem für Ihre Arbeit mit sozialrealistischen Regisseuren wie Andrea Arnold und Ken Loach bekannt. Was haben Sie gedacht, als Yorgos Lanthimos Sie 2016 für THE FAVOURITE anfragte?**
Robbie Ryan: Zugegeben, ich war überrascht. Aber Yorgos und ich haben uns schon ein paar Jahre zuvor kennengelernt, etwa zu der Zeit, als er THE LOBSTER drehte. Und er muss etwas in meiner Arbeit gesehen haben, das ihn ansprach, sonst wäre er sicher nicht auf mich zugekommen. Zum Beispiel haben wir beide eine tiefe Liebe fürs Filmen auf Zelluloid, vielleicht war es das. Aber das ist nur meine Vermutung. Ich habe ihn ehrlich gesagt nie gefragt.
Hatten Sie bei den Dreharbeiten zu THE FAVORITE dennoch erst mal das Gefühl, sich außerhalb Ihrer Komfortzone zu bewegen?
Ein bisschen schon. Zum einen, weil Yorgos selbst ein hervorragender Kameramann ist. Zum anderen, weil er genau weiß, was er will und was nicht. Er hat seine eigene Bildsprache, die er mit jedem Film konsequent weiterentwickelt. Und POOR THINGS ist ein weiterer Meilenstein auf diesem Weg. Der Film fühlt sich in seiner ganzen Befremdlichkeit extrem reif an, weil Yorgos' Blick von einer großen Sensibilität und Wachsamkeit geprägt ist.
Die oft schrägen, weiten Blickwinkel und die Fischaugenperspektive, die in beiden Filmen zum Einsatz kommen, waren das seine oder Ihre Ideen?
Es ist immer eine Zusammenarbeit. In THE FAVOURITE haben wir ein Sechs-Millimeter-Objektiv verwendet, das ein sehr verzerrtes Bild erzeugt. Es war perfekt, um die Geschichte einer Frau zu erzählen, die in ihrem Palast gefangen ist. Die Tatsache, dass man aufgrund des weiten Winkels den ganzen Raum sehen konnte, verstärkte das Gefühl ihrer Isolation umso mehr. Dass wir auch in POOR THINGS mit Weitwinkel gearbeitet haben, hat jedoch andere Gründe. Klar, in erster Linie passte es hier ebenfalls zu der Unwirklichkeit des Films insgesamt. Gleichzeitig muss man aber beachten, dass Yorgos' Schnitt sehr lyrisch ist, das heißt, das Timing ist entscheidend. Wenn man dann ein Vier-Millimeter-Objektiv verwendet, unterstreicht das eine Szene in dem Maße, dass es sich fast wie ein Angriff auf die Sinne anfühlt, weil das Auge in dem Moment zu viele Informationen bekommt.
Hatten Sie jemals Bedenken, es in Bezug auf die visuelle Ästhetik des Films zu weit zu treiben?
Für Yorgos' Ästhetik gibt es keine Grenzen. Wenn er denkt, dass er das Spiel noch ein bisschen weitertreiben kann, tut er das auch. Es gibt zum Beispiel viel Himmel in POOR THINGS und mit den Weitwinkelobjektiven kann man alles sehen. Die Welt wirkt dadurch noch größer. Aber weil wir nicht an realen Schauplätzen, sondern im Studio gedreht haben, musste der ganze Himmel in der Postproduktion nachbearbeitet werden. Ich war mir zunächst nicht sicher, ob es funktionieren würde. Aber Yorgos hat darauf vertraut - und das Ergebnis gibt ihm recht.
Welche Überlegungen gab es, um die verschiedenen Schauplätze optisch voneinander zu unterscheiden?
Wir hatten im Vorfeld die Idee, dass wir für bestimmte Episoden bestimmte Filmmaterialien verwenden würden. Zum Beispiel wollten wir Ektachrome für die Außenaufnahmen aller Orte verwenden, die Bella besucht, weil das ein sehr farbenfrohes und sehr kontrastreiches Filmmaterial ist. Allerdings ist es auch sehr langsam, und wir hätten noch mehr Licht gebraucht. Also mussten wir umdenken. Am Ende haben wir insgesamt vielleicht nur fünf verschiedene Objektive verwendet. Dadurch ist eine Filmsprache entstanden, die sich quasi durch die ganze Geschichte zieht. Doch aufgrund der speziellen Schnitttechnik sieht es an den verschiedenen Schauplätzen immer etwas anders aus.