Pamela Jahn: Frau Volpe, ist Floria in Ihren Augen eine Idealistin oder eine Perfektionistin?
Entschieden letzteres, vor allem aber ist sie eine sehr pragmatische Person. Sie liebt ihren Beruf und hat einen großen Ehrgeiz, ihre Arbeit gut zu machen. Sehr viele Pflegefachkräfte, die ich im Rahmen meiner Recherche getroffen habe, waren Frauen, die einen extrem hohen Anspruch an sich selbst haben, was sowohl das Fachliche als auch das Menschliche angeht. Pflegende zu sein, ist ein sehr komplexer Job, der beides braucht. Vor allem die Intensivpflege ist hochtechnisiert. Gleichzeitig stößt man in jedem Zimmer, in das man tritt, auf eine oder zwei fremde Welten in Form von Patientinnen und Patienten, auf die man sich unmittelbar einstellen muss.
Was ist das Besondere an der Station, die Sie im Film zeigen?
Es ist eine viszeralchirurgische Abteilung, wo Leute mit verschieden schweren Krankheiten liegen und auf der alle Altersgruppen vertreten sind. Konkret geht es dort um einen zentralen Körperbereich, nämlich den Bauch. Ich habe selbst mal auf so einer Abteilung einen Tag verbracht. Auch meine Mutter war während der Dreharbeiten im Spital auf so einer Station. Ich fand es metaphorisch einen passenden Ort. Floria kümmert sich um diese Menschen, die körperlich an einem Ort verletzt sind, der auch sehr emotional aufgeladen ist, weil er unsere zentralen Funktionen betrifft, Essen, Verdauen etc. und die deshalb vielleicht besonders verletzlich sind.
War Ihre persönliche Erfahrung im Krankenhaus der Auslöser für den Film?
Nein, ich war als Patientin erst einmal im Spital. Auch dass meine Mutter ausgerechnet während der Dreharbeiten krank wurde, war ein unglücklicher Zufall und ziemlich verrückt, weil sich in dem Moment Fiktion und Realität für mich auf seltsame Weise vermischten. Gerade habe ich noch am Set eine Szene gefilmt und plötzlich war ich die Tochter einer Patientin, die mit einer Pflegefachkraft spricht.
Was war dann die Initialzündung für das Projekt?
Ich habe selbst mal als Pflegehelferin gearbeitet, die Erlebnisse dort haben lange in mir nachgewirkt. Später habe ich viele Jahre mit einer sehr engen Freundin zusammengewohnt, die als Pflegefachkraft gearbeitet hat. Wir haben viel über ihre Arbeit geredet, diese intensiven Begegnungen mit Menschen, die leiden, die sterben, mit Angehörigen, die ethischen und moralischen Fragen, mit denen sie jeden Tag konfrontiert war. Im Gegensatz zu der Verantwortung, die sie in jeder Schicht übernahm, kamen mir meine Arbeitssorgen so banal vor. Als ich schließlich anfing, mich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen, auch mit der Historie, habe ich schnell gemerkt, wie systematisch der Beruf immer wieder heruntergespielt wird. Im Krieg beispielsweise geht es praktisch immer nur darum, was an der Front passiert. Vom Pflegepersonal, dass die verletzten Soldaten wieder zusammengeflickt, hört man kaum.
Wann kam die Idee dazu, die Geschichte wie einen Thriller zu inszenieren?
Als ich das Buch von Madeline Calvelage („Unser Beruf ist nicht das Problem. Es sind die Umstände”, tredition, 2002) gelesen habe, einer deutschen Pflegefachkraft. Sie beschreibt darin mehrere Schichten, nichts Außergewöhnliches. Es ist nicht mal besonders dramatisch. Aber ich bekam schon beim Lesen gefühlt Herzrhythmusstörungen. Da wusste ich, ich möchte gerne einen Film machen, der diesen enormen Druck und die Belastung für das Publikum physisch und psychisch erfahrbar macht.
Man kommt beim Schauen selbst kaum hinterher und fragt sich spätestens beim fünften Patienten, wer jetzt noch mal was braucht. Wie ist es Ihnen beim Schreiben gegangen?
Um diese Eskalationsdramaturgie zu kreieren, musste ich ein tiefes Verständnis für den Pflegealltag entwickeln. Dem Schreiben ging deswegen auch eine minuziöse Recherche voraus, ich habe mit vielen Pflegenden gesprochen und war selber auf verschiedenen Abteilungen. Die Figur macht in dem Sinn keine klassische Entwicklung durch. Aber sie steht nie still, jede Handlung hat ein Ziel. Jeder Schritt musste irre genau sein. Dafür habe ich auch beim Schreiben weiter mit zwei Pflegefachkräften zusammengearbeitet, eine davon war Madeline, die andere eine Schweizer Kollegin. Ich musste lernen zu denken wie sie: Wem habe ich welches Medikament schon gegeben? Wer muss wo abgeholt oder hingebracht werden? Wo steht mein Wagen? Was muss ich als Nächstes tun?
Auch am Set kann ich mir das ziemlich chaotisch vorstellen.
Im besten Fall ist ein Set nie chaotisch! Aber es gibt einen bestimmten Druck. Nur geht es bei uns nicht um Leben und Tod. Ich bin sehr froh, die fantastische Kamerafrau Judith Kaufmann an meiner Seite zu haben, wir sind ein eingespieltes Team. Ohne ihr wirklich wahnsinnig künstlerisches und liebevolles Auge, wäre es nicht möglich gewesen, einen Film auf diesem Niveau zu drehen. Ich profitiere enorm von ihrer Erfahrung, weil ich selbst ja auch gar nicht so viel drehe. Meine Filme sind immer Herzensprojekte.