Welche Überlegungen gab es im Hinblick auf die Sexszenen im Film?
Obwohl Brasilien ein katholisches Land ist, leben die Menschen ihre Sexualität dort relativ frei aus. Und die einzige Möglichkeit für mich, eine glaubwürdige Verbindung zwischen Dayana und Heraldo herzustellen, war durch die Begegnung zweier Körper, die verschmelzen und eins werden. Die Fragen, die ich mir gestellt habe, waren: Wenn ich den Sex zeige, warum? Was will ich damit sagen? Es kommt dabei in erster Linie immer auf die Körperstellungen an, auf die Intensität, auf den Rhythmus, auf die Begegnung ihrer Blicke. Denn es ist nicht nur eine Sexszene, sie hat eine Bedeutung und die muss man nachvollziehen können. Bei Dayana und Heraldo kommt noch dazu, dass ihre Beziehung nicht auf Liebe basiert, sondern auf Leidenschaft. Und diese Art von Leidenschaft ist der erste Funke einer jeden Revolution.
Hatten Sie einen Intimacy Coordinator am Set?
Ja, und ich sage Ihnen warum: Viele männliche Regisseure haben die Beziehung zwischen der Regie und den Schauspielerinnen versaut. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals so eine Vermittlerin - in unserem Fall war es eine Frau - am Set brauchen würde. Aber was ich bei diesem Film gelernt habe, ist, dass es von Vorteil sein kann, wenn die Schauspielerinnen jemand Außenstehenden zum Reden haben. Denn egal wie gutherzig, ehrlich und offen man als Regisseur ist, man befindet sich zwangsläufig immer in einer Machtposition. Und im Zweifelsfall tut ein Schauspieler oder eine Schauspielerin, worum man ihn bittet, auch wenn er oder sie das vielleicht gar nicht will. Aber genau das darf nicht passieren, und es gilt in der Hinsicht einiges aufzuarbeiten und wieder gut zu machen, was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist.
Würden Sie den Film schneiden, um ihn in bestimmten Ländern durch die Zensur zu bekommen?
Das ist eine knifflige Frage. Ich würde sagen, es hängt vom Schnitt ab. Lieber wäre mir, man könnte einfach einen schwarzen Balken über die Genitalien legen. Aber das ist vielen sicher zu wenig. Ein Freund von mir, der für ein Filmfestival in Tunesien arbeitet, hat mich bereits gewarnt, dass kein arabisches Land MOTEL DESTINO zeigen wird, wenn ich nicht massiv schneide. Und einerseits möchte ich natürlich, dass der Film ein großes Publikum findet. Andererseits werde ich keine gravierenden Kompromisse eingehen. Letztlich wird es wohl auf Verhandlungen hinauslaufen. In meinem Film DIE SEHNSUCHT DER SCHWESTERN GUSMÃO gab es schon mal eine sehr explizite Szene, in der man einen Penis sehen konnte. Damals habe ich die Stelle für bestimmte Länder herausgeschnitten, weil das, was der Film insgesamt zu sagen hatte, wichtiger war als dieser eine provokante Moment.
Wie sind Sie an den visuellen Stil herangegangen?
Das Erste, woran ich dachte, war Exzess. Ich wollte, dass alles ein bisschen übertrieben wirkt. Die Schauspielerei ist überspitzt, die Farben sind aufdringlich, der Ton ist chaotisch. Es sollte ein Film werden, der einem Fiebertraum gleicht. Ich war seit fünf Jahren nicht mehr in Brasilien, nicht zuletzt wegen der politischen Situation. Und wenn man so lange im Dunkeln ausharrt und sich plötzlich die Türen öffnen, ist man erst mal vom Licht geblendet. Diese Metapher trifft es vielleicht ganz gut.
Trotz der grellen Farben erinnert die Stimmung mitunter an die Noir-Filme aus den 1940er Jahren. War das eine bewusste Referenz?
Ich habe MOTEL DESTINO immer als eine Neuinterpretation dieser Filme betrachtet. Nur, in einem Land, in dem es so viel Sonne und Tageslicht gibt, wie bei uns, konnte ich nicht wirklich gut mit Schatten arbeiten, wie es für das Noir-Genre damals typisch war. Stattdessen habe ich mich auf die Farben der Räume und die Beleuchtung insgesamt konzentriert, um sozusagen die Schatten in Licht zu verwandeln und das Genre auf den Kopf zu stellen.
Sie haben bei FIREBRAND mit Hollywood-Stars wie Jude Law und Alicia Vikander zusammengearbeitet. Gehen Sie anders an einen Film heran, wenn Ihre Schauspieler*innen mit weniger Erfahrung und Promi-Power ans Set kommen?
Wenn man mit großen Stars arbeitet, geht es immer darum, die Beziehung auf einem bestimmten Niveau zu halten. Hier waren wir einfach ein paar Leute, die zusammen einen Film machen wollten. Man könnte meinen, dass es für mich als Regisseur mehr Arbeit bedeutet, aber eigentlich ist es ein großes Glück, mit Newcomern oder sogar Laienschauspielern zu arbeiten.
Warum?
Weil sie furchtlos sind, und so entsteht eine Spontanität im Spiel, die Hollywood-Größen oft abgeht, weil die immer ihre Karriere im Hinterkopf haben.
Hat sich diese Unerschrockenheit Ihrer Darsteller*innen auch auf Ihre Arbeit als Regisseur übertragen?
Ja, ich habe sehr darauf geachtet, mich nicht in Produktionskram zu verzetteln. Die Szenen in den Korridoren zum Beispiel, auch die mit den Tieren, standen so nicht im Drehbuch. Ich habe am Set sehr intuitiv entschieden, was bei FIREBRAND auch überhaupt nicht möglich war. Ich weiß noch, einmal habe ich versucht, Vögel in das Schloss von Henry VIII fliegen zu lassen. Aber das wurde sofort abgeblasen, weil man Angst davor hatte, die Vogelscheiße könnte das Mobiliar beschädigen. Es ist immer das Gleiche: Es geht in der Branche zu sehr darum, Risiken zu minimieren. Stattdessen wollte ich diesmal jedes Risiko eingehen, das sich mir in den Weg stellte. Es war ein ungemein befreiendes Gefühl.
Wie blicken Sie auf die Filmindustrie in Brasilien unter dem jetzigen Präsidenten Lula da Silva?
Es ist erst ein Jahr her, seit er ins Amt berufen wurde, und alle machen wieder Filme. Es ist toll. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass sich das Blatt ganz schnell wieder wenden kann. Man muss sich nur anschauen, was gerade in Argentinien passiert, es ist eine Katastrophe. Deshalb sollten auch wir uns nicht in Sicherheit wiegen. Niemand weiß, was die Zukunft bringt.
Fühlen Sie sich eigentlich noch mit Ihren halb-algerischen Wurzeln verbunden?
Ja, sehr. Ich würde gerne einen Science-Fiction-Film in Algerien drehen, über die Atomversuche, die dort in den 1960er Jahren stattfanden. Natürlich müsste ich das Thema anders verpacken, vielleicht verbunden mit einer Liebesgeschichte. Wer weiß, denn die Zensur dort ist wirklich kriminell. Wahrscheinlich würde auch dieser Film nie in Algerien gezeigt werden dürfen, geschweige denn dort gedreht werden können. Aber wenn mich die Schwermut überkommt, versuche ich immer an das iranische Kino zu denken. Ich habe größten Respekt vor den Filmemacher*innen, die im Iran unter Bedingungen arbeiten, die viel schlechter und gefährlicher sind als in Algerien oder anderswo. Sie zeigen, dass es immer einen Weg gibt. Daran halte ich mich fest.