Pamela Jahn: Frau Klaue, Sie haben sich bereits in Ihrem Abschlussfilm an der Kunsthochschule mit der Nachwendezeit beschäftigt. Was hat Sie jetzt speziell an dem Roman von Lukas Rietzschel interessiert?
Constanze Klaue: Bei LYCHEN 92 war ich auf eine Laufzeit von 30 Minuten beschränkt. Mir war eigentlich damals schon klar, dass das erst der Anfang sein sollte und ich mich noch intensiver mit dem Thema auseinandersetzen möchte. Ich bin ganz zufällig auf den Roman gestoßen und wusste direkt, dass ich ihn verfilmen möchte. Einmal, weil Lukas' Schreibstil mich fasziniert, der durch seine Beschreibungen eine große Visualität hat, die sich fürs Kino gut übertragen lässt - und gleichzeitig, weil ich meine eigene Biografie in seiner Erzählung wiederfand. Daher habe ich mich auch persönlich angesprochen gefühlt.
Sie kommen aus Ost-Berlin. Wieviel von einem Landkind steckt in Ihnen?
Die Geschichte ist nicht meine eigene, aber trotzdem konnte ich sehr viel von mir und meiner privaten Ost-Sozialisation miteinbringen. Ich bin die ersten neun Jahre in Lichtenberg aufgewachsen, aber dann aufs Land nach Brandenburg gezogen. Dort haben meine Eltern versucht, ihren Traum vom Eigenheim zu realisieren und sind ähnlich wie in der Geschichte daran gescheitert. Wir haben übrigens genau in diesem Haus gedreht.
Was macht den Charme der ostdeutschen Provinz aus?
Ich bin oft im südwestlichen Brandenburg und im Fläming. Meine Tante hat dort einen Hof in Lehnsdorf, einem Ort, in dem heute keine 100 Menschen mehr leben. Andreas Dresen hat dort vor Jahren mal einen Kurzfilm gedreht. Ich habe ein großes Faible für Weite. Auch für die Kargheit, die dort herrscht, und die Melancholie, die darin mitschwingt. Ich kann dem viel abgewinnen. Das fängt beim losen Sand an, dass man im Sommer mit dem Fahrrad nicht durch die Wälder fahren kann, weil der Boden zu weich ist. Ich liebe den Geruch, wenn die Sonne das Harz von den Kiefern löst. Und die Stille. Man sieht Hirsche, Rehe, Waschbären. Es gibt dort ein Wolfsrudel. Es ist schon ein Stück weit die unberührte Natur, die mich anzieht.
Man kann es natürlich auch andersrum sehen: Dass dort kaum noch Menschen leben, weil es keine Arbeit mehr gibt und alle abgewandert sind.
Klar, aber das gehört für mich zu diesem Heimatempfinden dazu. Verlassene Orte, leerstehende Häuser. All das hat mich schon als Kind fasziniert, die Tatsache, dass wir alle immer auch ein Stück weit Teil einer Historie sind. Wir leben ja nicht nur in der Gegenwart, die uns unmittelbar betrifft. Das Vergangene ist genauso präsent in uns. In dem Gedanken steckt für mich ganz viel Raum zum Träumen, für Fantasie.
Das klingt erstmal alles sehr romantisch. Im Film führt allerdings genau diese schwierige Situation für viele Menschen im Osten zur Katastrophe.
Das meine ich mit Melancholie, wenn das Leben plötzlich eine Schwere bekommt, weil das, was einmal war, nicht mehr existiert, und die Leere, die dadurch entsteht, in eine Traurigkeit führt - oder tatsächlich auch zu einer Art Unglück. Ich selbst bin vor diesem Schmerz nicht gefeit, deswegen kann ich auch nicht dauerhaft an diesen Orten bleiben, sondern nur punktuell. Eine Frage, die mich sehr beschäftigt, ist, ob diese ostdeutsche Mentalität nicht irgendwann ausstirbt. Der Gedanke kommt mir vor allem, wenn ich im Norden bin, auf Rügen oder Hiddensee, wo kaum noch etwas wie früher aussieht, wo man merkt, dass das Geld, das meistens nicht aus dem Osten kommt, einzieht und die Einheimischen kaum eine Chance haben, ihre Orte zu bewahren.