Filmgespräch

Rose Glass über LOVE LIES BLEEDING: "Ich hatte Lust auf bombastischen Spaß, pulpy und düster."

Jackie auf dem Schießplatz
Patrick Heidmann

Von der britischen Filmemacherin Rose Glass werden wir hoffentlich noch viel hören. Glass wurde 1990 wurde in London geboren und studierte Film an der National Film and Television School. Gleich erster Film, ST. MAUD (2019), über eine streng katholische Pflegerin, die die Seele einer todkranken lesbischen Tänzerin, zu retten versucht, wurde mit britischen Filmpreisen überhäuft. Patrick Heidmann hat sich für das INDIEKINO Magazin mit Rose Glass über ihren neuen Film unterhalten.

Patrick Heidmann: Ms. Glass, gleich Ihr Debütfilm SAINT MAUD sorgte 2019 für einiges Aufsehen. Danach hätten Sie sicherlich das eine oder andere Mainstream-Angebot annehmen oder auf Nummer sicher gehen können. Stattdessen ist Ihr zweiter Film LOVE LIES BLEEDING nun eine ziemlich wilde, ungestüme und durchaus mutige Angelegenheit. Das muss man sich als gerade durchstartende Regisseurin erst einmal trauen, oder?

Rose Glass: Ehrlich gesagt habe ich mir darüber gar nicht zu sehr den Kopf zerbrochen. Hätte ich strategisch über meine Karriere nachgedacht, wäre ich vielleicht vorsichtiger oder vernünftiger gewesen und tatsächlich auf Nummer sicher gegangen. Aber ich war so begeistert von den Reaktionen, die ich für SAINT MAUD bekommen hatte, dass ich mich ein wenig wie in einem Rausch befand. Filme zu drehen ist mit so vielen Unsicherheiten und Zweifeln verbunden, vor allem im Vorfeld des ersten Langfilms. Dass ich den dann tatsächlich hinter mich gebracht hatte und er auch noch so gut ankam, ließ mich offensichtlich mutig werden. Jedenfalls steckte ich voller Energie und wollte einfach in die Vollen gehen.

Dabei herausgekommen ist ein brutaler, witziger Film über lesbische Bodybuilderinnen. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Meine erste Frage ist immer: Was würde ich selbst gerne sehen? Und ich hatte nun einmal Lust auf bombastischen Spaß, pulpy und düster. Aber vor allem hatte ich die Idee, eine Geschichte über eine sehr muskuläre Frau zu erzählen. Denn das ist etwas, was man auf der Leinwand quasi nie sieht. So kam ich dann auf das Thema Bodybuilding, was nicht nur visuell, sondern auch psychologisch eine spannende, erzählerisch ergiebige Welt ist. Den eigenen Körper so zu verändern, dass er zu einer Art menschlicher Skulptur wird – das ist schon eine recht surreale Sache. Aber auch sehr archaisch und gleichzeitig wunderschön; einerseits ein Sport, andererseits eine Art Performance. Ich war mir einfach ziemlich sicher, dass es hochinteressant werden könnte, in diese Thematik einzutauchen.

Sehen Sie irgendeine Verbindung zwischen Ihren beiden Filmen?

Ich würde schon sagen, dass Maud und nun Jackie in LOVE LIES BLEEDING in gewisser Weise Schwestern im Geiste sind. Allerlei thematische Bezüge lassen sich da auf jeden Fall entdecken. In beiden Filmen geht es um Menschen, die sich und ihr Leben gestalten wollen und dabei ziemlich weit zu gehen bereit sind, weswegen sie einige moralisch fragwürdige Entscheidungen treffen. Bei beiden Filmen war meine Hoffnung außerdem, dass das Publikum auf den ersten Blick glaubt, rein gar nichts mit dem Gezeigten zu tun zu haben. Doch dass am Ende dann, aller Überhöhung und Absurdität zum Trotz, vielleicht trotzdem die Erkenntnis steht, dass da eine Nähe oder Verbindung zu der Geschichte und ihren Figuren entstanden ist.

Was die Überhöhungen und Absurditäten angeht, steigert sich der Film in seinem Verlauf immer weiter. Gab es hier und da mal Ideen, bei denen Sie sich selbst bremsen mussten, um nicht übers Ziel hinauszuschießen?

Es gab auf jeden Fall ein paar Szenen, in denen wir mehr gedreht haben, als nun im Film zu sehen ist. Vor allem, was die eher brutalen und blutigen Szenen angeht. Es war allerdings weniger so, dass ich selbst da das Gefühl gehabt hätte, zu weit gegangen zu sein, sondern das hatte mehr mit Anmerkungen von Produzenten- und Studio-Seite zu tun. Gerade was die Interaktionen von Lou und ihrem Vater oder ihrer Schwester angeht, ging es in der Fertigstellung des Films viel hin und her, und wir diskutierten über kleinste Details. Bei einigem habe ich nachgegeben und eingesehen, dass hier und da weniger mehr war. Aber an anderen Stellen bin ich auch hart und bei meiner ursprünglichen Vision geblieben. Es ging aber wirklich nie um ganze Szenen, sondern immer nur um einzelne Aufnahmen und wenige Sekunden. Prinzipiell kann ich mich glücklich schätzen, dass man mich diesen Film so hat drehen lassen, wie ich das im Kopf hatte.

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Lou wird gespielt von Kristen Stewart. Hatten Sie die von Anfang an für die Rolle im Sinn?**

Mehr oder weniger hatte ich sie tatsächlich schon beim Schreiben im Kopf und hoffte, dass sie vielleicht Lust auf dieses Projekt haben könnte. Irgendwann hörte ich um drei Ecken, dass sie ein Fan von SAINT MAUD sei, deswegen traute ich mich dann auch tatsächlich, mal bei ihr vorstellig zu werden.

Warum war Sie Ihre erste Wahl?

Puh, ich weiß gar nicht, wie gut ich das in Worte fassen kann. Erst einmal war’s ein Bauchgefühl. Ich ahnte einfach, dass sie perfekt für diese Figur passen würde. Im Grunde ist das ja eine Art modernisierte Version eines klassischen Film Noir-Antihelden: ewig grüblerisch, gequält von der eigenen Vergangenheit und viel zu viele Zigaretten rauchend. Kristen versah Lou dann noch mit dem nötigen, sehr modernen Humor, würde ich sagen. Und sowohl sie als auch Katy O’Brian sehen in ihren Rollen einerseits verdammt cool, aber irgendwie auch etwas trottelig aus. Das hätte man besser nicht hinbekommen können.

Katy O’Brian war früher Polizistin und hat jede Menge Martial Arts-Erfahrung, aber schauspielerisch ist sie nach ein paar kleinen TV-Rollen eine echte Neuentdeckung!

Eine geeignete Schauspielerin für die Rolle der Jackie zu finden, erwies sich als verdammt schwierig. Ich wurde richtig ein wenig nervös, denn nach Kristens Zusage war plötzlich die Finanzierung gesichert und der Ball ins Rollen gebracht, deswegen drängte auf einmal die Zeit. Mir war klar, dass wir jemand Unbekanntes oder eine Laiin würden finden müssen, denn natürlich hat keiner der angesagten Hollywoodstars, die mir mitunter vorgeschlagen wurden, diese Art von Statur.

Sie meinen den muskulösen Körper?

Genau, denn der war mir wichtig. Jackie sollte wirklich überzeugend wie eine Frau aussehen, die Bodybuilding macht. Und einen solchen Körper kann man sich auch nicht eben mal für eine Filmrolle schnell antrainieren. Wir haben die absurdesten Gespräche geführt, um wirklich jede Option auszuloten, von Prosthetik-Experimenten bis hin zu Body-Doubles. Das kam für mich aber alles nicht in Frage. Die meisten Casting-Videos überzeugten mich auch nicht. Entweder waren das Sportlerinnen, die zwar passend aussahen, aber schauspielerisch zu unerfahren waren. Oder Schauspielerinnen, die zwar sportlich, aber nicht kräftig genug waren. Dass wir auf Katie stießen, war am Ende reinstes Glück. Ein Fan von ihr sah einen Aufruf, den unsere Casterin bei Twitter gepostet hatte, und leitete ihn an ihren Account weiter. Als sie uns ihr Video schickte, war das ein Geschenk des Himmels.

Als Lous Vater ist Ed Harris zu sehen und überrascht nicht nur mit einer schrägen Frisur. Ging es Ihnen darum, hier bewusst gegen den Strich zu setzen?

Lou Sr. sollte auf keinen Fall zum Klischee des bösen Patriarchen werden. Deswegen war es mir ganz wichtig, jemanden in der Rolle zu haben, der nicht aussieht wie ein typischer, hypermaskuliner Macho oder sofort an gängige Gangster-Bilder denken lässt. Ed kam mir also vor allem in den Sinn, weil sein Image ja eigentlich eher ein nettes ist. Dass es einem Ausnahmeschauspieler wie ihm leichtfallen würde, furchteinflößend zu wirken, hatte ich erwartet. Wie schräg und freaky dieser Kerl in seinen Händen würde, dagegen nicht unbedingt.

Was hat es damit auf sich, dass die Geschichte ausgerechnet 1989 spielt?

Vor allem hat das ganz pragmatische Gründe, denn als Drehbuchautorin fallen gewisse Schwierigkeiten einfach weg, wenn man seine Geschichten zu einer Zeit ansiedelt, als es das Internet noch nicht gab. Gerade wenn man von Menschen erzählt, die sich an abgelegenen Orten befinden und aus ihrer Isolation heraus zum Extrem getrieben werden, sind Mobiltelefone und Computer echt der Feind.

Dieser abgelegene Ort, das Niemandsland der US-amerikanischen Provinz hat schon häufiger auch europäische Filmemacher*innen angezogen. Sehen sich als Engländerin mit LOVE LIES BLEEDING in einer bestimmten Tradition verortet?

Es so zu formulieren, wäre vielleicht etwas zu viel des Guten. Denn es ist nicht so, dass ich mir vorgenommen hatte, mich neben Filmen wie PARIS, TEXAS von Wim Wenders einzureihen. Selbst wenn man womöglich hier und da Parallelen im Look ziehen könnte. Auch Andrea Arnolds AMERICAN HONEY wäre eine mögliche Referenz. Doch bei genauem Hinsehen hört es auch schnell wieder auf mit den Gemeinsamkeiten, glaube ich. Zumindest habe ich sie nicht gesucht. Eher ist es so, dass die ländlichen USA mit ihrem rauen Flair und den endlosen Weiten, dieses ganz spezielle Americana-Flair, auf fast alle Filmemacher*innen einen enormen Reiz ausübt. Und speziell eben auf solche, die nicht von dort kommen. (INDIEKINO Magazin, 06/2024)

Patrick Heidmann

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