Pamela Jahn: Frau Delpy, Sie führen bei DIE BARBAREN nicht nur Regie, sondern spielen gleichzeitig die Hauptrolle, Joëlle Lesourd, eine engagierte Lehrerin. Was war die wesentlichste Eigenschaft, die Sie der Figur geben wollten?
Julie Delpy: Sie ist voller Güte. Joëlle möchte helfen, und das ist mir sehr nah. Ich versuche immer, das Richtige zu tun und meine Integrität zu bewahren. Das habe ich wahrscheinlich mit ihr gemeinsam. Damit will ich nicht sagen, dass ich vorhabe, die Welt zu retten. Das ist unmöglich. In diesem Sinne habe ich auch viel Mitgefühl für Joëlle, weil ich glaube, dass sie wirklich etwas bewegen will. Aber das ist in der heutigen Zeit schwierig. Oft ist das, was man bewirkt, nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Ich habe gerade deswegen enormen Respekt vor Menschen, die es trotzdem unermüdlich versuchen.
Die Idee im Zentrum der Geschichte, diese Vorstellung, dass es an Flüchtlingen aus der Ukraine mangelt, ist absurd. Wie ist daraus ein Drehbuch entstanden?
Wir waren gerade dabei, einen Film über syrische Flüchtlinge zu schreiben, die in ein französisches Dorf kommen, als der Krieg in der Ukraine ausbrach. Mitten in unserer Recherche hörten wir plötzlich von so vielen verschiedenen Menschen, dass sie ukrainischen Familien in ganz Europa ihre Unterkünfte angeboten hatten, sei es in Portugal, Paris oder Polen. Ich fand das beeindruckend, aber es hat mich auch zum Nachdenken gebracht, weil den syrischen Flüchtlingen oder Migranten aus anderen Regionen wie Afrika nicht annähernd gleich viel Wärme und Nächstenliebe entgegengebracht wird. Sie müssen darum kämpfen, überhaupt in ein anderes Land zu kommen. Viele Menschen sterben an den Grenzen oder im Meer. Und was mir bei der Arbeit mit meinen Co-Autoren klar wurde, ist dieser gravierende Unterschied. Es macht mich traurig und auch ein Stück weit wütend, dass wir uns scheinbar nur mit denjenigen identifizieren können oder wollen, die uns kulturell näherstehen. Daraus habe ich eine Komödie gemacht, aber in Wirklichkeit ist es eine Tragödie.
Gibt es so etwas wie gute oder schlechte Flüchtlinge?
Viele Populisten versuchen uns weiszumachen, dass bestimmte Migrantengruppen gefährlicher sind. Ein solches Denken basiert natürlich in erster Linie auf Rassismus und definitiv auch auf Islamfeindlichkeit. Die Wahrheit ist, ja, es gab negative Vorfälle mit einem geringen Prozentsatz von Menschen, auch mit terroristischen Motiven. Aber 99,9 % der Flüchtlinge wollen das Gleiche wie alle anderen auch. Sie wünschen sich ein Dach über dem Kopf und einen Job, mit dem sie ihre Familie ernähren können. Das ist alles. Und die meisten von ihnen wollen nach Hause zurückkehren, wenn es wieder sicher ist. Sie wollen keinen Vorteil daraus ziehen, in Europa zu leben. Sie suchen hier lediglich Schutz und Sicherheit.