Filmgespräch

Regisseurin Julie Delpy über DIE BARBAREN: "Ich will nichts machen, was mir gleichgültig ist."

Julie Delpy (*1969, Paris) begann ihre Karriere als Schauspielerin. Ihre erste Filmrolle hatte sie in Godards DÉTECTIVE (1985) und am bekanntesten ist sie vermutlich als Céline in Richard Linklaters BEFORE Trilogie (1995/2004/2013). Seit 2007 führt sie selbst Regie. Zu ihren Filmen gehören die RomComs 2 DAYS IN PARIS (2007) und 2 DAYS IN NEW YORK (2012), der Horror-Historienfilm DIE GRÄFIN (2009) über die „Blutgräfin“ Elisabeth Báthory, die Mutter-Sohn-Komödie LOLO (2015) und das Sci-Fi-Drama MY ZOE (2019).

Pamela Jahn: Frau Delpy, Sie führen bei DIE BARBAREN nicht nur Regie, sondern spielen gleichzeitig die Hauptrolle, Joëlle Lesourd, eine engagierte Lehrerin. Was war die wesentlichste Eigenschaft, die Sie der Figur geben wollten?

Julie Delpy: Sie ist voller Güte. Joëlle möchte helfen, und das ist mir sehr nah. Ich versuche immer, das Richtige zu tun und meine Integrität zu bewahren. Das habe ich wahrscheinlich mit ihr gemeinsam. Damit will ich nicht sagen, dass ich vorhabe, die Welt zu retten. Das ist unmöglich. In diesem Sinne habe ich auch viel Mitgefühl für Joëlle, weil ich glaube, dass sie wirklich etwas bewegen will. Aber das ist in der heutigen Zeit schwierig. Oft ist das, was man bewirkt, nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Ich habe gerade deswegen enormen Respekt vor Menschen, die es trotzdem unermüdlich versuchen.

Die Idee im Zentrum der Geschichte, diese Vorstellung, dass es an Flüchtlingen aus der Ukraine mangelt, ist absurd. Wie ist daraus ein Drehbuch entstanden?

Wir waren gerade dabei, einen Film über syrische Flüchtlinge zu schreiben, die in ein französisches Dorf kommen, als der Krieg in der Ukraine ausbrach. Mitten in unserer Recherche hörten wir plötzlich von so vielen verschiedenen Menschen, dass sie ukrainischen Familien in ganz Europa ihre Unterkünfte angeboten hatten, sei es in Portugal, Paris oder Polen. Ich fand das beeindruckend, aber es hat mich auch zum Nachdenken gebracht, weil den syrischen Flüchtlingen oder Migranten aus anderen Regionen wie Afrika nicht annähernd gleich viel Wärme und Nächstenliebe entgegengebracht wird. Sie müssen darum kämpfen, überhaupt in ein anderes Land zu kommen. Viele Menschen sterben an den Grenzen oder im Meer. Und was mir bei der Arbeit mit meinen Co-Autoren klar wurde, ist dieser gravierende Unterschied. Es macht mich traurig und auch ein Stück weit wütend, dass wir uns scheinbar nur mit denjenigen identifizieren können oder wollen, die uns kulturell näherstehen. Daraus habe ich eine Komödie gemacht, aber in Wirklichkeit ist es eine Tragödie.

Gibt es so etwas wie gute oder schlechte Flüchtlinge?

Viele Populisten versuchen uns weiszumachen, dass bestimmte Migrantengruppen gefährlicher sind. Ein solches Denken basiert natürlich in erster Linie auf Rassismus und definitiv auch auf Islamfeindlichkeit. Die Wahrheit ist, ja, es gab negative Vorfälle mit einem geringen Prozentsatz von Menschen, auch mit terroristischen Motiven. Aber 99,9 % der Flüchtlinge wollen das Gleiche wie alle anderen auch. Sie wünschen sich ein Dach über dem Kopf und einen Job, mit dem sie ihre Familie ernähren können. Das ist alles. Und die meisten von ihnen wollen nach Hause zurückkehren, wenn es wieder sicher ist. Sie wollen keinen Vorteil daraus ziehen, in Europa zu leben. Sie suchen hier lediglich Schutz und Sicherheit.

Wie schafft man es, bei einem so brisanten Thema, den richtigen Humor zu finden?

Es ist wie ein Tanz auf Messers Schneide. Wenn man zu weit geht, kippt das Ganze leicht ins Saure. Wenn man nicht weit genug geht, fehlt der Biss. Manchmal muss man viel ausprobieren, man geht zu weit und nimmt dann wieder etwas zurück. Komödien brauchen viel Zeit und Energie, um sicherzugehen, dass es funktioniert.

Hatten Sie Bedenken?

Es ist komplex, weil man sich fragt, wie man Menschen mit einer rassistischen oder frauenfeindlichen Pointe zum Lachen bringen kann. Als ich den Film zum ersten Mal in den USA gezeigt habe, reagierte das Publikum zum Beispiel sehr unsicher und verstört auf die Szene, in der es um Sklaverei geht. Aber dann kam ein Punkt, an dem es so schräg wurde, dass die Leute schließlich anfingen zu lachen. Obwohl sie anfangs wirklich nervös waren. Das meine ich, wenn ich sage, es ist wichtig, so weit wie möglich zu gehen und manchmal unverschämt zu sein, als würde man den Zuschauern einen Stromschlag verabreichen.

Gleichzeitig bekommt Ihr Film im Verlauf der Geschichte einen zunehmend ernsteren Unterton, insbesondere im Hinblick auf das Schicksal der syrischen Familie.

Deshalb hat das Schreiben des Drehbuchs so lange gedauert. Wir mussten das richtige Maß an Ernsthaftigkeit und Emotion finden, um zugleich dem Drama und der Komik gerecht zu werden. Gemeinsam mit meinem Cutter habe ich daran auch im Schnittraum noch einmal lange gefeilt. Deshalb sieht man zum Beispiel in der Szene, in der sie das Video von Amma und ihrem sterbenden Mann ansehen, kaum etwas. Die Reaktionen in ihren Gesichtern gibt Aufschluss über die Bilder.

Sie haben den Film in einer Provinzstadt in der Bretagne gedreht und nicht in Paris. Welchen Unterschied macht das?

Wir haben in Frankreich eine sehr starke regionale Identität. Aber in letzter Zeit versucht die extreme Rechte, diese Identität zu mobilisieren, die Menschen für sich zu gewinnen, obwohl gerade die bretonische Gemeinschaft ursprünglich sehr aufgeschlossen ist. Es ist eine der gastfreundlichsten Regionen in Europa mit einer sehr offenen Kultur. Nun kommt die extreme Rechte und sagt: Die Flüchtlinge werden die Macht übernehmen. So ein Quatsch. Migration hat noch nie eine regionale Kultur zerstört. Das Problem ist immer die zentrale Macht. Es waren nicht die Einwanderer, die allen kleineren Regionen die französische Sprache aufgezwungen haben. Es war die Regierung. Napoleon. Aber sie versuchen, den Einwanderern die Schuld zu geben, um an die Macht zu kommen. Hier in Amerika, wo ich lebe, ist es ähnlich. Wir stecken überall mittendrin. Mein Sohn sagte neulich: "Mama, leider wiederholt sich der Kreislauf des Bösen. Alle 80 Jahre müssen wir wieder kämpfen."

Ist die Bretagne eine Region, die Sie gut kennen?

Meine Familie stammt von dort, aus diesem Dorf. Ich hatte eine Tante in Paimpont. Und weil meine Eltern beruflich viel gereist sind, als ich klein war, habe ich viel Zeit bei ihr verbracht. Während meine Eltern in verschiedenen Städten Theater gespielt haben, lebe ich manchmal monatelang bei ihr oder bei einem Onkel in einer anderen Provinz. Ich habe damals viel Zeit auf dem Land verbracht.

Interessant ist auch die Dynamik zwischen Joëlle und ihrer Freundin Anne, gespielt von Sandrine Kiberlain.

Es ist wie mit jeder Freundschaft, keine einfache Sache. Anne hat einen Ehemann, der sie beeinflusst und ihr einflößt, dass es nicht gut ist, anderen zu helfen. Vielleicht hat sie auch eine etwas egoistischere Seite oder ist bodenständiger, mehr in der Realität verwurzelt. Gleichzeitig flüchtet sie vor der Realität, sie trinkt. Sie will nicht sehen, dass ihr Mann sie betrügt und sie in einer toten Beziehung steckt. Andererseits haben wir alle unsere Fehler. Joëlle ist eher eine Idealistin, aber auch sie ist nicht glücklich mit ihrer Situation, weil sie eigentlich weggehen und Menschen helfen möchte. Sie hat das Gefühl, dass ihr Leben nicht das erfüllt, was sie wirklich tun oder sein möchte. Der Film ist für alle eine Art Reise, und am Ende sieht man, wo sie ein Jahr später gelandet sind. Die Begegnung mit dieser syrischen Flüchtlingsfamilie bringt etwas in den Menschen zum Vorschein. Es ist wie eine Offenbarung.

Was hat sich für Sie während der Arbeit an dem Film verändert?

Ich mache einen Job, der sehr egozentrisch und extrem eitel ist. Ich bin in dieser Branche, so ist es nun mal. Meine Mutter war Aktivistin für viele Dinge, vor allem aber für Feminismus. Das hat mich dazu gebracht, neu darüber nachzudenken, was mir beim Regieführen wichtig ist. Ich werde auch in Zukunft keine Filme mit großen Botschaften machen, weil ich so einfach nicht bin. Ich finde es auch prätentiös. Aber ich möchte sinnvolle Filme machen, zumindest keinen Mist produzieren. Ich will nichts machen, was mir gleichgültig ist. Das können Komödien sein, das können Dramen sein, aber es muss für mich Sinn ergeben. Und vielleicht war das in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Natürlich muss man Jobs machen, um seine Rechnungen zu bezahlen, denn Filme, die einem viel bedeuten, bringen in der Regel kein Geld ein. Aber das ist keine Entschuldigung.

Wenn Sie an Ihre aktivistische Mutter denken, spüren Sie da auch einen gewissen Druck?

Ja, es passt auch eigentlich nicht zu mir, so passiv zu sein, weil ich von einer Frau erzogen wurde, die mir etwas anderes beigebracht hat. Ich habe das eine Zeit lang verdrängt, weil ich in Hollywood bin und man hier einfach die Klappe halten muss, wissen Sie? Selbst in der französischen Filmindustrie ist es ähnlich. Ich bin nicht die offenste Person, aber ich finde, dass Film ein gutes Medium ist, um mich auszudrücken. Die verschiedenen Drehbücher, die ich gerade vorbereite, haben alle eine politische Komponente oder ein gewisses Engagement, ohne dabei prätentiös zu sein oder sich selbst zu ernst zu nehmen.

Sie haben gerade auch eine Rolle in Ruben Östlunds neuem Film übernommen. Das scheint zumindest kein Job zu sein, der nur die Rechnungen bezahlt?

Ganz und gar nicht. Es war faszinierend; seine Arbeitsweise ist nicht einfach. Man weiß nicht wirklich, was einen erwartet, bis man mit den Dreharbeiten beginnt. Erst als ich ans Set kam, haben wir meine Figur irgendwie ausgearbeitet. Das hat viel Spaß gemacht, aber man muss sich darauf einlassen.

Können Sie sich mit seiner Art von Humor identifizieren?

Ja, das Düstere liegt mir sehr. Ich habe erst gestern Abend gerade wieder PARASITE von Bong Joon Ho gesehen, weil ich diesen Film liebe. Und ich habe selbst mehrere Drehbücher, die in diese Richtung gehen. Aber bisher konnte ich niemanden davon überzeugen, die Finanzierung zu unterstützen. Ich habe eine viel dunklere Seite in mir als man gemeinhin denkt. Nur schaffe ich es nicht, diese in den Vordergrund zu rücken, denn wenn man einmal auf eine bestimmte Weise wahrgenommen wird, ist es schwierig, sich zu verändern und aus dieser Ecke wieder herauszukommen.

Ist das nach so vielen Jahren manchmal entmutigend?

Durchaus. Die romantischen Komödien haben mich in etwas festgefahren, und ich muss da raus, weil ich noch andere Dinge zu sagen habe. Der Plan ist also, mit der Romantik zu brechen. Ich hoffe, es gelingt mir irgendwann. So schnell gebe ich nicht auf.

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