Selbst wenn sie schweigt, wirkt Julie nicht wie eine Einzelgängerin. Stattdessen lässt sie sich auf die Welt ein. Wir sehen, dass Julie sozial interagiert; es gibt wichtige Menschen in ihrem Leben. Ist der Film sowohl eine kollektive als auch eine individuelle Geschichte?
Absolut. Durch einen 360°Ansatz wird die Ungerechtigkeit zu viel mehr als nur individuellem Leid – sie breitet sich im ganzen Umfeld aus. Als Julie wieder Kontakt zur Außenwelt aufnimmt, von der sie jahrelang abgeschnitten war, sehen wir, wie ihr Schweigen wirklich alles und jede*n um sie herum belastet. Ich hoffe, dass diese Perspektive einen konstruktiven Dialog über den Ansatz in den Bereichen Politik, Schutz und Bildung anstoßen kann. Eine sicherere Welt für Julie wird letztlich für uns alle sicherer sein, und wir alle tragen eine gewisse Verantwortung dafür, dass dies gelingt.
Sie schreiben in einem Regie-Statement, dass Julies Schweigen Sie auf unerwartete Weise geleitet hat und Ihnen geholfen hat, die Welt, in der wir leben, zu verstehen. Was meinen Sie damit?
Beim Schreiben dieser Geschichte ist mir klar geworden, dass wir in vielerlei Hinsicht alle Julie sind. Wir alle haben ein Schweigen in uns – Dinge, die wir nie geteilt haben oder bei denen wir nicht wissen, wie wir sie ausdrücken sollen. Julie erlaubt uns, dieses Schweigen zu erforschen, ob es nun ein Bewältigungsmechanismus, eine Form des Widerstands, der Ermächtigung oder der Gewalt ist. Das Ende des Films ist so kraftvoll – aber auch offen für das, was die Zukunft bereithält. Die erste Szene, die ich zu Papier gebracht habe, war das Ende. Das Ende war tatsächlich der Anfang. Dieses Ende symbolisiert neue Anfänge. Wir sollten uns von Julies Reise inspirieren lassen, um uns zu fragen, was wir für künftige Generationen tun können. Wir sollten Julie zu Wort kommen lassen und ihre Geschichte spürbar werden lassen, denn eine bessere Welt für Julie ist eine bessere Welt für uns alle. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, Julie und uns selbst aus diesem Labyrinth zu befreien.
Das klingt poetisch.
Das ist es, was meine Co-Autorin Ruth Becquart und ich versucht haben. Wir wollten das Poetische in etwas zurückbringen, das eigentlich zutiefst unpoetisch ist. Das sogenannte Gewöhnliche. Julie ist an einem Punkt, an dem sie nicht mehr in der Lage ist, das zu lieben, was sie ist; aber indem sie sich auf die kleinen Details im Leben konzentriert und die darin verborgene Schönheit entdeckt, beginnt sie, sichwieder mit der Welt um sie herum zu verbinden. Die Liebe, die Julie für ihren Hund empfindet, das Schultheaterstück, an dem sie teilnimmt, die Sitzungen bei ihrem Chiropraktiker. Diese Dinge waren für uns tatsächlich der Schlüssel dazu, dass sie wieder zu sich selbst finden kann.