Filmgespräch

Regisseur Florian Pochlatko über HOW TO BE NORMAL: "Die kollektive Psychose hat irgendwie nie mehr richtig aufgehört."

Florian Pochlatko hat in Wien studiert. Er drehte zuletzt vor allem Kurzfilme und zahlreiche Musikvideos für österreichische Pop-Künstler*innen und arbeitete als Kurator und „Visual Identiy Concepter“. HOW TO BE NORMAL ist sein erster abendfüllender Spielfilm.

Pamela Jahn: Herr Pochlatko, wie ängstlich sind Sie heute, auf einer Skala von eins bis zehn?

Florian Pochlatko: Schwer zu sagen. Aber der Gedanke, der dahintersteckt, spiegelt sehr schön meinen persönlichen Ausgangspunkt wider, warum ich den Film machen wollte. Denn ich habe jahrelang an einer Angststörung gelitten, die mir das Leben fast unmöglich gemacht hat. In der Auseinandersetzung mit dem Thema hatte ich dann irgendwann so viel Wissen generiert, dass ich mir dachte, ich muss irgendwo hin damit. Auch weil ich gemerkt habe: Das betrifft nicht nur mich, sondern viele, es spricht nur niemand darüber. Auf einmal hatte ich das Gefühl, es sei wichtig, breiter darüber zu erzählen.

Machen wir gleich weiter mit den schwierigen Fragen: Was ist normal?

Die Frage habe ich mir selbst tatsächlich schon lange nicht mehr gestellt. Mich interessiert eher: Wer bestimmt, was normal ist? Und was macht das mit unserer Welt? Das hat für mich viel damit zu tun, wie ich unsere Gesellschaft im digitalen Zeitalter ganz allgemein wahrnehme und wie verschiedene Realitätsmodelle im Internet miteinander konkurrieren. Plötzlich muss man abwägen, wem man was glaubt - und ob man eigentlich noch sich selbst vertraut.

Wie geht man am besten mit Fake News, Hate Speech und Verschwörungstheorien im Netz um?

Es ist schon spannend, wenn man sieht, mit welchen Mitteln heute versucht wird, die sprachlichen Narrative zu bestimmen. Damit verbunden ist immer auch eine gewisse Hoheitsmacht über Realitätskonstrukte. Und all das schlägt einem automatisch ins Gesicht, sobald man den Laptop aufgeklappt. Im Gegensatz dazu erscheint es fast schon anachronistisch, klassische Medien zu konsumieren, die zwar klarerweise oftmals auch tendenziös berichten, aber dann trotzdem grundsätzlich eine andere Latte in Sachen Sachlichkeit im Umgang mit Informationen anlegen.

Pia, die Protagonistin in Ihrem Film, zieht nach einem Psychiatrieaufenthalt zurück zu den Eltern. Ist damit das Disaster vorprogrammiert?

Ich wollte im Kontext meines Films auch von einem Generationenkonflikt erzählen. Und vom Scheitern an Menschen, die man liebt, oder schützen will. Nicht umsonst sind Shakespeare-Dramen, Stephen King-Geschichten oder STAR WARS voll von komplizierten interfamilären Konflikten. Familie ist einfach ein Thema, bei dem jedem Menschen seine persönlichen Ur-Dramen entgegenschlagen, und dort wollte ich rein als Autor.

Wie schafft man eine Balance, damit man die Krankheit nicht romantisiert oder den Eindruck vermittelt, dass nur diese Menschen aus dem Alltagstrott ausbrechen können, während alle anderen weitermachen müssen?

Über Mental Heath zu sprechen ist in den letzten Jahren viel stärker in den Vordergrund gerückt. Das ist einerseits super, andererseits muss man aufpassen, dass man seine Diagnosen nicht wie ein schickes gram-able Lifestyle Accessoire vor sich herträgt. Ich war mir der Gefahr sehr bewusst, dass, wenn man bei der Thematik an der Oberfläche bleibt, es relativierend oder verniedlichend wirken könnte. Darum habe ich versucht, mich dem Thema auch so ernsthaft, tiefgehend und fundiert wie möglich aus unterschiedlichen Perspektiven zu nähern und von dessen Zerstörungskraft zu erzählen. Dazu gehörte auch, meine Mitstreiter*innen in diesem Projekt anzuhalten, dass wir in unserer Kunst so ehrlich wie möglich zueinander sind. Diesen Sprung aus der Sprachlosigkeit zu schaffen...

Ist Pia eine tragische Heldin im klassischen Sinn?

Sie ist eine Heldin ihrer Zeit, einer Gegenwart, in der alle Grundfesten wackeln und jeder Begriff, jede Theorie, jedes Lebensmodell hinterfragt wird. Ich wollte eine Figur zeigen, die sich schon sehr lange zwischen den Welten bewegt und die dadurch dieses Zusammenfallen von der eigenen Wahrnehmung, medialer Realität und der realen Wirklichkeit noch einmal intensiver und intuitiver spürt.

Ist es Ihnen während Ihrer Krise ähnlich ergangen?

Ich glaube, uns allen ist es in den letzten Jahren, die gezeichnet waren von multiplen, globalen Krisen, so ähnlich gegangen. Zu merken, dass die urpersönlichen Krisenmomente nicht nur einen selbst betreffen, war ein extremes Learning. Diesen Sprung aus der Sprachlosigkeit zu schaffen, hat für mich und andere Kolleginnen und Freundinnen unheimlich viel bewirkt. Daraus ist dann die Idee entstanden, das auf einer größeren Skala als Tool zu verwenden, um diesen Film zu machen. Darum fühlt er sich vielleicht für viele auch so unmittelbar an, und viele Menschen fühlen sich darin gesehen.

Die verzerrte Realität, in der Pia sich bewegt, ist voller popkultureller Referenzen - von „Tatort“ bis zu Tom Turbo aus dem ORF. Entsprechen diese Anspielungen Ihrer persönlichen Vorstellung von einer übersättigten Medienwelt?

Einerseits das, andererseits fand ich diesen Verschränkungsmoment mit psychotischer Wahrnehmung spannend, wo es auch plötzlich keine Grenzen mehr zwischen Innen und Außen gibt. Wo sich mythologische Popelemente mit einer realen Welt vermischen, die ohnehin schon wie eine übersteuerte Satire auf sich selbst wirkt. Eine seltsame Wendung folgt der nächsten, und man fragt sich, in welchem Film man sich eigentlich befindet. Dieses Grundgefühl hat nach der Pandemie plötzlich jeder gekannt, weil wir uns zusammen wie in einer kollektiven Psychose befunden hatten, die irgendwie nie mehr richtig aufgehört hat.

Haben Sie selbst auch schon mal mit dem Gedanken gespielt, sich dem Medienwahn, dem wir tagtäglich unterliegen, komplett zu entziehen?

Das ist das Thema meines nächsten Films. Ich habe Menschen gefunden, die sich radikal der Welt entzogen haben. Mich interessiert, wie und warum sie sich dafür entschieden haben. Auch weil ich glaube, dass viele Leute sich heute wünschen würden, eine Resilienz zu entwickeln gegenüber dieser endlosen medialen Reizüberflutung.
Mein Antrieb war: Vielleicht mache ich nur diesen einen Film. Und wenn schon, denn schon.

Eine ganz andere Frage: Sie haben damals an der Filmakademie Wien unter Michael Haneke studiert. Wie haben Sie ihn erlebt?

Er wird immer sehr verschrien als Dogmatiker, aber exakt das Gegenteil ist der Fall. Ich kenne wenige Leute, die so offen sind gegenüber verschiedenen ästhetischen Haltungen war wie er. Und na klar, er ist ein wichtiger, toller Filmemacher. Aber noch viel mehr hat er mich als Professor beeindruckt. Er war immer da. Er hat jeden von uns ernst genommen - Oscars hin oder her. Am Mittwoch ist er nach Los Angeles geflogen und freitags war er wieder zurück, um unsere Studenten-Drehbücher zu lesen. Das war ist absolut nicht selbstverständlich.

Nach dem Studium haben Sie eine Zeit lang als Visual-Identity-Designer gearbeitet. Was muss man sich darunter vorstellen?

Es ist natürlich ein sehr modischer Begriff. Im Grunde kommen Künstlerinnen, zum Beispiel Musikerinnen, mit ihrem Album auf dich zu und geben dir die Chance, ein visuelles Konzept mit Release-Strategie für die Platte zu entwickeln. Also nicht nur ein Video für einen Song. Eher eine Art vierdimensionales Künstlerporträt. Man denkt darüber nach, welche anderen visuellen Künstler*innen gut für welche Single Auskopplung wären, welche visuellen Narrative usw.

Hat Ihnen der Job auch handwerklich Sicherheit gegeben?

Bestimmt. Aber als Erstling befindet man sich immer in einer schwierigen Position, weil so ein Debüt die Karriere bestimmt. Mein Antrieb war: Vielleicht mache ich nur diesen einen Film. Und wenn schon, denn schon. Also lieber das Risiko eingehen, mit Ach und Krach zu scheitern, aber dafür vielleicht etwas Genuines zu produzieren, als auf Nummer sicher zu gehen.
Fühlen Sie sich jetzt nach dem Film mehr oder weniger austherapiert?
Puh, ich glaube ich würde skeptisch werden bei jedem der das von sich behauptet. Aber trotzdem: Ja. In gewisser Hinsicht schon. Man muss aber immer auf der Hut bleiben, dennoch habe ich durch diese Arbeit unheimlich viel gelernt. Haneke hatte recht, Film kann Karthasis sein.

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Läuft ab Donnerstag 11 September 2025