Pamela Jahn: Herr Pochlatko, wie ängstlich sind Sie heute, auf einer Skala von eins bis zehn?
Florian Pochlatko: Schwer zu sagen. Aber der Gedanke, der dahintersteckt, spiegelt sehr schön meinen persönlichen Ausgangspunkt wider, warum ich den Film machen wollte. Denn ich habe jahrelang an einer Angststörung gelitten, die mir das Leben fast unmöglich gemacht hat. In der Auseinandersetzung mit dem Thema hatte ich dann irgendwann so viel Wissen generiert, dass ich mir dachte, ich muss irgendwo hin damit. Auch weil ich gemerkt habe: Das betrifft nicht nur mich, sondern viele, es spricht nur niemand darüber. Auf einmal hatte ich das Gefühl, es sei wichtig, breiter darüber zu erzählen.
Machen wir gleich weiter mit den schwierigen Fragen: Was ist normal?
Die Frage habe ich mir selbst tatsächlich schon lange nicht mehr gestellt. Mich interessiert eher: Wer bestimmt, was normal ist? Und was macht das mit unserer Welt? Das hat für mich viel damit zu tun, wie ich unsere Gesellschaft im digitalen Zeitalter ganz allgemein wahrnehme und wie verschiedene Realitätsmodelle im Internet miteinander konkurrieren. Plötzlich muss man abwägen, wem man was glaubt - und ob man eigentlich noch sich selbst vertraut.
Wie geht man am besten mit Fake News, Hate Speech und Verschwörungstheorien im Netz um?
Es ist schon spannend, wenn man sieht, mit welchen Mitteln heute versucht wird, die sprachlichen Narrative zu bestimmen. Damit verbunden ist immer auch eine gewisse Hoheitsmacht über Realitätskonstrukte. Und all das schlägt einem automatisch ins Gesicht, sobald man den Laptop aufgeklappt. Im Gegensatz dazu erscheint es fast schon anachronistisch, klassische Medien zu konsumieren, die zwar klarerweise oftmals auch tendenziös berichten, aber dann trotzdem grundsätzlich eine andere Latte in Sachen Sachlichkeit im Umgang mit Informationen anlegen.
Pia, die Protagonistin in Ihrem Film, zieht nach einem Psychiatrieaufenthalt zurück zu den Eltern. Ist damit das Disaster vorprogrammiert?
Ich wollte im Kontext meines Films auch von einem Generationenkonflikt erzählen. Und vom Scheitern an Menschen, die man liebt, oder schützen will. Nicht umsonst sind Shakespeare-Dramen, Stephen King-Geschichten oder STAR WARS voll von komplizierten interfamilären Konflikten. Familie ist einfach ein Thema, bei dem jedem Menschen seine persönlichen Ur-Dramen entgegenschlagen, und dort wollte ich rein als Autor.
Wie schafft man eine Balance, damit man die Krankheit nicht romantisiert oder den Eindruck vermittelt, dass nur diese Menschen aus dem Alltagstrott ausbrechen können, während alle anderen weitermachen müssen?
Über Mental Heath zu sprechen ist in den letzten Jahren viel stärker in den Vordergrund gerückt. Das ist einerseits super, andererseits muss man aufpassen, dass man seine Diagnosen nicht wie ein schickes gram-able Lifestyle Accessoire vor sich herträgt. Ich war mir der Gefahr sehr bewusst, dass, wenn man bei der Thematik an der Oberfläche bleibt, es relativierend oder verniedlichend wirken könnte. Darum habe ich versucht, mich dem Thema auch so ernsthaft, tiefgehend und fundiert wie möglich aus unterschiedlichen Perspektiven zu nähern und von dessen Zerstörungskraft zu erzählen. Dazu gehörte auch, meine Mitstreiter*innen in diesem Projekt anzuhalten, dass wir in unserer Kunst so ehrlich wie möglich zueinander sind. Diesen Sprung aus der Sprachlosigkeit zu schaffen...