Patrick Heidmann: Mr. Salles, Ihr neuer Film FÜR IMMER HIER erzählt eine wahre Geschichte und basiert auf den gleichnamigen Memoiren von Marcelo Rubens Paiva. Sie kannten die Familie Pavia, die Sie nun auf der Leinwand zeigen, als Teenager persönlich, nicht wahr?
Walter Salles: Das stimmt, mein Bezug zu dieser Geschichte ist ein sehr persönlicher. Meine Eltern hatten nach dem Militärputsch 1964 Brasilien zunächst den Rücken gekehrt, doch fünf Jahre später kehrten wir zurück. Ich war damals 14 Jahre alt, und eine gute Freundin von mir war die beste Freundin von Nalu Paiva, der mittleren Tochter.
Wenn man in FÜR IMMER HIER am Anfang die ganzen Teenager am Strand Volleyball spielen sieht, könnten einer davon also Sie sein?
Absolut, auch wenn ich nie ein besonders guter Volleyballspieler war. Aber ja, ich kannte die Paivas, und auch wenn ich bei ihnen nur gelegentlich zu Gast war, haben mich diese Familie und ihr Haus enorm geprägt. Damals war Rio eine Stadt, die gezeichnet war von den Restriktionen der Militärdiktatur, von Ausgangssperren und Zensur. Doch wenn man das Wohnzimmer der Paivas betrat, bekam man eine Ahnung davon, wie Brasilien hätte sein können. Da war all das greifbar, was in jener hoffnungsvollen Zeit in der Luft gelegen hatte, nachdem sich das Land vom Kolonialismus befreit hatte und bevor der Putsch dann erst einmal alles wieder zunichte machte. Die Stunden, in denen in diesem Haus Musik lief und getanzt wurde, in denen gelacht und über Politik diskutiert wurde – und wir auch als junge Menschen an all dem teilhaben durften – waren ein Quell der Inspiration. Das kannte ich so von zu Hause nicht. Und ich glaube, für uns alle war damals Rubens Paiva der Vater, den wir gerne gehabt hätten.
Sie haben im Film also nicht dieses Familienidyll überhöht, um dann die Tragik umso größer zu machen, die die Paivas ereilt?
Nein, ich musste da nichts überhöhen. Tatsächlich ahnte damals niemand, welche Tragödie sich ereignen würde. Und das nicht, weil alle naiv oder ignorant gewesen wären. Man kann nicht sagen, dass den Paivas und ihrem Freundeskreis mit Rubens Verhaftung mit einem Mal das Paradies abhanden kam, schließlich waren das alles hochpolitische Menschen, die sich intensiv mit den Begebenheiten in ihrem Land auseinandersetzten. Aber sie hielten eben auch die Hoffnung aufrecht, dass die Rückkehr zur Demokratie eigentlich in unmittelbarer Reichweite läge. Ihr Haus war die utopische Version eines besseren Brasiliens, in dem nicht einmal nachts die Tür abgeschlossen wurde. Die bittere Realität drang erst in diese innere Idylle ein, ein als Ruben abgeführt wurde und – anders als etwa der Vater unserer Produzentin Daniela Thomas – auch nicht nach drei Monaten wieder freigelassen wurde.