Filmgespräch

Gints Zilbalodis über FLOW: "Unsere Tiere verhalten sich wie echte Tiere."

In seinem Langfilmdebüt AWAY (2019) erzählte der lettische Animationsfilmemacher Gints Zilbalodis von einem kleinen Jungen, der auf einer einsamen Insel landet und vor einem mysteriösen Schatten flieht. Sein zweiter Film FLOW, in dem eine Gruppe von Tieren eine apokalyptischen Flut überstehen muss, wurde zu einem bahnbrechenden Erfolg: Der Film feierte seine Premiere in Cannes, wurde von Guillermo del Toro als „Zukunft des Animationsfilms“ bezeichnet und gewann soeben den Oscar 2025 für den besten Animationsfilm.

Dieter Oßwald: Ihr Katzenabenteuer bekommt begeisterte Kritiken, bekam den Europäischen Filmpreis und ging ins Oscar-Rennen. Hätten Sie mit so viel Applaus gerechnet?

Gints Zilbalodis: Nein, es war eine schöne Überraschung, besonders nach Cannes, da Animationsfilme dort selten ausgewählt werden. Unser Film ist etwas Besonderes, ein Abenteuer mit einer Katze und anderen Tieren, das sowohl Familien als auch Erwachsene anspricht. Es ist ein sehr persönlicher Film für mich, und ich bin glücklich, dass er so gut ankommt. Die Anerkennung zeigt, dass wir mit unserem Risiko Erfolg hatten.

Wie würden Sie sich vorstellen, dass Walt Disney auf Ihren Film reagiert hätte?

Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, ähnlich wie bei Disney-Filmen gibt es für jeden etwas zu entdecken. Unsere Tiere verhalten sich jedoch wie echte Tiere, ohne zu sprechen oder Witze zu erzählen, was sie glaubwürdiger und emotionaler macht. Dadurch können wir die Geschichte nur mit Bildern, Musik und Geräuschen erzählen, was den Film intensiver und ausdrucksstärker macht. Ich sehe das als eine Rückkehr zum reinen Kinoerlebnis, das besonders auf der großen Leinwand funktioniert.

Die Katze in Ihrem Film ist keine typische „niedliche“ Katze, sie ist egoistisch und manchmal aggressiv. Warum haben Sie sich für diese Darstellung entschieden?

Katzen sind oft eigensinnig, und genau das wollte ich zeigen. Wir verzeihen der Katze ihr Verhalten, weil wir es als typisch für Katzen sehen, und das macht sie sympathisch. Der Film zeigt ihre Entwicklung von einem unabhängigen Charakter zu einem, der lernt, anderen zu vertrauen. Diese Veränderung wollte ich authentisch und ohne Kompromisse darstellen.

Ihr Film hat eine sehr eigenständige Ästhetik, manchmal erinnert sie an Videospiele. War das eine bewusste Entscheidung oder liegt es am Budget?

Die Ästhetik war eine bewusste Entscheidung, auch wenn wir als kleines Independent-Team weniger Mittel hatten. Ich wollte nicht den realistischen CG-Stil, den viele große Studios nutzen, sondern eine Mischung aus traditionellem Handgezeichnetem und modernem 3D. So wird der Look wärmer und emotionaler, als es eine perfekte, sterile Animation wäre. Es ging mir darum, Emotionen durch stilisierte Bilder zu erzeugen.

Ihre Animation erinnert ein wenig an Lotte Reiniger und ihre Scherenschnitt-Filme. War das eine Inspiration?

Ich kenne Lotte Reiniger und schätze ihre Arbeit. Für mich ist Animation kein Genre, sondern ein Medium, das unterschiedlichste Geschichten und Stile zulässt. Ich glaube, Animation sollte die Handschrift des Schöpfers tragen und einzigartig sein. Es ist spannend zu sehen, dass auch große Studios jetzt mit künstlerischeren Stilen experimentieren und die Vielfalt in der Animation wächst.

Was halten Sie von künstlicher Intelligenz in der Animation?

Wir haben in diesem Film keine KI verwendet, und es interessiert mich ehrlich gesagt nicht besonders. Natürlich wird KI die Branche verändern, aber ich glaube, dass Menschen immer handgemachte Dinge schätzen werden. Dieser Film ist sehr persönlich, ich habe viele verschiedene Rollen übernommen und den Prozess genossen. Es ist mir wichtig, diese persönliche Note zu bewahren.

Wenn Pixar Ihnen ein Angebot machen würde, würden Sie es annehmen oder Ihre Unabhängigkeit bewahren wollen?

Ich würde meine Unabhängigkeit bewahren wollen. Wir haben für diesen Film ein Studio in Lettland gegründet, und es hat sich für uns als erfolgreich erwiesen. Es ist einer der erfolgreichsten lettischen Filme, und ich möchte weiterhin unabhängige Projekte in Lettland verwirklichen.

In Animationsfilmen werden gerne Details versteckt, die sogenannten „Easter Eggs“. Ist das bei FLOW ebenso der Fall?

Ja, es gibt versteckte Details, die beim ersten Anschauen vielleicht nicht auffallen. Ich möchte den Zuschauern Raum geben, sich in die Geschichte hineinzuversetzen und selbst zu interpretieren, was vorher oder danach passiert sein könnte. Es macht mehr Spaß, wenn die Zuschauer auf Entdeckungsreise gehen und eigene Interpretationen finden.

Zum Schluss: Haben Sie selbst eine Katze?

Zurzeit nicht, aber als Kind hatte ich eine Katze, die mich zu diesem Film inspiriert hat. Ich hatte auch zwei Hunde, die die Vorlage für den Hund im Film waren. Ich mag sowohl Katzen als auch Hunde und musste für den Film nicht viel recherchieren, weil ich ihr Verhalten sehr gut kenne.

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Tipp von Hendrike

Flow

‘Ein großer Teil der Faszination, die von FLOW ausgeht, liegt darin, dass die Tiere wenig antropomorph gestaltet sind und tierhaft zu agieren scheinen. ’