Patrick Heidmann: Herr Rasoulof, Ihr neuer Film DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS handelt – am Beispiel einer einzigen Familie – von den Mechanismen des iranischen Regimes und der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung. Der Film nahm seinen Anfang, als Sie selbst im berüchtigten Evin-Gefängnis saßen, noch vor der Fertigstellung und der Weltpremiere des Films in Cannes flohen Sie dann im Frühjahr 2024 aus Ihrer Heimat. Ist es nicht unglaublich schlauchend, dass Sie nun seit Monaten nicht nur über den Film, sondern immer auch über Ihre eigene Geschichte sprechen müssen?
Mohammad Rasoulof: Ich muss ehrlich sagen, dass ich nichts dagegen hätte, irgendwann auch mal ein bisschen Abstand gewinnen zu können, von diesem Film und seiner Geschichte. Hoffentlich finde ich dann die Zeit, über mein Leben und meine Situation nachdenken zu können. Das Land zu verlassen, war für mich wie ein Neuanfang. Ich dachte, dass ich bereit dafür sei, aber ich war es nicht. Manchmal bin ich so wehmütig und habe ein solches Heimweh, dass ich gar nicht weiß, was ich mit diesen Schmerzen machen soll. Aber natürlich will und muss ich DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS nun begleiten, wo er auf der ganzen Welt gezeigt wird. Zum Nachdenken komme ich aktuell deswegen höchstens, wenn ich im Flugzeug sitze.
Über die Jahre wurden Sie immer wieder verhaftet, eingesperrt und mit Arbeitsverboten belegt. Trotzdem kam es für Sie die längste Zeit offenbar nicht in Frage, den Iran zu verlassen. Warum nun?
Als ich das letzte Mal im Gefängnis saß, stand noch eine große Verhandlung an, bei der mir eine weitere, lange Haftstrafe drohte. Da habe ich gespürt: Wenn die kommen sollte, ist der Zeitpunkt gekommen, dass ich gehen muss. Die Passivität, der ich als Filmemacher im Gefängnis anheimgefallen bin, wurde immer erdrückender. Außerdem realisierte ich, wie ich immer mehr anfing, mich als Opfer dieser staatlichen Zensur wahrzunehmen. Aber ich wollte kein Opfer sein, sondern weiter Filme drehen und Geschichten erzählen. Trotzdem habe ich den endgültigen Schritt lange vor mir hergeschoben. Erst als das endgültige Urteil kam und ich jeden Moment damit rechnen musste, wieder verhaftet zu werden, führte für mich endgültig kein Weg mehr daran vorbei, das Land zu verlassen. Es musste alles sehr schnell gehen.
Die erste Inspiration zu DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS war nicht die Ermordung der jungen Mahsa Amini im September 2022 und die anschließenden Proteste, sondern eine Begegnung im Gefängnis. Ein Staatsangestellter berichtete Ihnen dort, dass er nicht wisse, wie er seine Tätigkeit für das Regime weiter aushalten solle, und sich jeden Tag überlege, an welchem Zaun er sich aufhängen könnte. Wie brachten Sie dann diese beiden Elemente in Ihrem Drehbuch zusammen?
Die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung war bereits in vollem Gange, als ich diese Begegnung hatte; ich war nicht lange vorher verhaftet worden. Was auf den Straßen Teherans passierte, prägte meinen Gefängnisaufenthalt enorm. Immer wieder kamen neue Gefangene, die uns erzählten, was draußen passierte. Außerdem änderte sich das Verhalten der Gefängnisbeamten, denn mehr denn je fingen etliche der zum System gehörenden Menschen an, selbiges in Frage zu stellen. Aber mich hat auch früher schon interessiert, wie die Personen ticken, die in diesem Justizapparat mitwirken und mir gegenüberstehen, wenn sie meine Filme zensieren, mich verurteilen, mich in meine Zelle begleiten. Woher kommt diese Ergebenheit? Wieso scheint deren Psychologie eine so ganz andere zu sein als meine eigene?
Ihr Film zeigt nun auf der einen Seite den Familienvater, der Ermittlungsrichter ist und mit dem staatlichen System hadert, und auf der anderen seine Frau und vor allem die Töchter, die auf der Seite der Protestbewegung stehen. Obwohl er sich letztlich gegen seine eigenen Kinder wendet, zeigen Sie auch den Mann als Opfer und nicht bloß als Monster. Eine schwierige Balance?
Mich hat die menschliche Psyche immer schon beschäftigt – und die ist nie nur schwarz oder weiß. Selbst in den 15 Jahren, in denen ich tagtäglich mit diesem repressiven System zu tun hatte, habe ich immer mit einem humanistischen Blick darauf geschaut und zu verstehen versucht, warum Menschen sich gezwungen fühlen, sich in dieses Regime einzufügen. Viele von denen bewegen sich in psychologischen Grauzonen, und genau das wollte ich mit dem Film auch tun.