Filmgespräch

Mohammad Rasoulof über DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS: "Mich hat die menschliche Psyche immer schon beschäftigt – und die ist nie nur schwarz oder weiß. "

Patrick Heidmann

Der iranische Regisseur und Produzent Mohammad Rasoulof ist mit seinen Filmen gern gesehener Festivalgast. Im Iran ist die Aufführung seiner Spielfilme dagegen untersagt. Im April 2024, unmittelbar nach Fertigstellung von DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS, wurde der Regisseur zu acht Jahren Gefängnis sowie zu Auspeitschungen, einer Geldstrafe und der Beschlagnahmung seines Eigentums verurteilt und floh, ebenso wie weitere Crew-Mitglieder, aus dem Iran. Mohammad Rasoulof lebt mittlerweile in Hamburg.

Patrick Heidmann: Herr Rasoulof, Ihr neuer Film DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS handelt – am Beispiel einer einzigen Familie – von den Mechanismen des iranischen Regimes und der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung. Der Film nahm seinen Anfang, als Sie selbst im berüchtigten Evin-Gefängnis saßen, noch vor der Fertigstellung und der Weltpremiere des Films in Cannes flohen Sie dann im Frühjahr 2024 aus Ihrer Heimat. Ist es nicht unglaublich schlauchend, dass Sie nun seit Monaten nicht nur über den Film, sondern immer auch über Ihre eigene Geschichte sprechen müssen?

Mohammad Rasoulof: Ich muss ehrlich sagen, dass ich nichts dagegen hätte, irgendwann auch mal ein bisschen Abstand gewinnen zu können, von diesem Film und seiner Geschichte. Hoffentlich finde ich dann die Zeit, über mein Leben und meine Situation nachdenken zu können. Das Land zu verlassen, war für mich wie ein Neuanfang. Ich dachte, dass ich bereit dafür sei, aber ich war es nicht. Manchmal bin ich so wehmütig und habe ein solches Heimweh, dass ich gar nicht weiß, was ich mit diesen Schmerzen machen soll. Aber natürlich will und muss ich DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS nun begleiten, wo er auf der ganzen Welt gezeigt wird. Zum Nachdenken komme ich aktuell deswegen höchstens, wenn ich im Flugzeug sitze.

Über die Jahre wurden Sie immer wieder verhaftet, eingesperrt und mit Arbeitsverboten belegt. Trotzdem kam es für Sie die längste Zeit offenbar nicht in Frage, den Iran zu verlassen. Warum nun?

Als ich das letzte Mal im Gefängnis saß, stand noch eine große Verhandlung an, bei der mir eine weitere, lange Haftstrafe drohte. Da habe ich gespürt: Wenn die kommen sollte, ist der Zeitpunkt gekommen, dass ich gehen muss. Die Passivität, der ich als Filmemacher im Gefängnis anheimgefallen bin, wurde immer erdrückender. Außerdem realisierte ich, wie ich immer mehr anfing, mich als Opfer dieser staatlichen Zensur wahrzunehmen. Aber ich wollte kein Opfer sein, sondern weiter Filme drehen und Geschichten erzählen. Trotzdem habe ich den endgültigen Schritt lange vor mir hergeschoben. Erst als das endgültige Urteil kam und ich jeden Moment damit rechnen musste, wieder verhaftet zu werden, führte für mich endgültig kein Weg mehr daran vorbei, das Land zu verlassen. Es musste alles sehr schnell gehen.

Die erste Inspiration zu DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS war nicht die Ermordung der jungen Mahsa Amini im September 2022 und die anschließenden Proteste, sondern eine Begegnung im Gefängnis. Ein Staatsangestellter berichtete Ihnen dort, dass er nicht wisse, wie er seine Tätigkeit für das Regime weiter aushalten solle, und sich jeden Tag überlege, an welchem Zaun er sich aufhängen könnte. Wie brachten Sie dann diese beiden Elemente in Ihrem Drehbuch zusammen?

Die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung war bereits in vollem Gange, als ich diese Begegnung hatte; ich war nicht lange vorher verhaftet worden. Was auf den Straßen Teherans passierte, prägte meinen Gefängnisaufenthalt enorm. Immer wieder kamen neue Gefangene, die uns erzählten, was draußen passierte. Außerdem änderte sich das Verhalten der Gefängnisbeamten, denn mehr denn je fingen etliche der zum System gehörenden Menschen an, selbiges in Frage zu stellen. Aber mich hat auch früher schon interessiert, wie die Personen ticken, die in diesem Justizapparat mitwirken und mir gegenüberstehen, wenn sie meine Filme zensieren, mich verurteilen, mich in meine Zelle begleiten. Woher kommt diese Ergebenheit? Wieso scheint deren Psychologie eine so ganz andere zu sein als meine eigene?

Ihr Film zeigt nun auf der einen Seite den Familienvater, der Ermittlungsrichter ist und mit dem staatlichen System hadert, und auf der anderen seine Frau und vor allem die Töchter, die auf der Seite der Protestbewegung stehen. Obwohl er sich letztlich gegen seine eigenen Kinder wendet, zeigen Sie auch den Mann als Opfer und nicht bloß als Monster. Eine schwierige Balance?

Mich hat die menschliche Psyche immer schon beschäftigt – und die ist nie nur schwarz oder weiß. Selbst in den 15 Jahren, in denen ich tagtäglich mit diesem repressiven System zu tun hatte, habe ich immer mit einem humanistischen Blick darauf geschaut und zu verstehen versucht, warum Menschen sich gezwungen fühlen, sich in dieses Regime einzufügen. Viele von denen bewegen sich in psychologischen Grauzonen, und genau das wollte ich mit dem Film auch tun.

Gedreht haben Sie – nicht zum ersten Mal – heimlich und an den staatlichen Behörden vorbei. Wie schwierig ist es dabei, Schauspieler*innen und Crew-Mitglieder zu finden, denen man vertrauen kann und die auch nicht zwischendurch der Mut verlässt?

Dass während des Drehs jemand Angst bekommt und abspringt, gibt es immer mal wieder. Das gehört dazu und ist verständlich, aber natürlich auch eine Herausforderung. Interessanterweise war die Lage dieses Mal, nach der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung, eine andere. Schon als ich aus dem Gefängnis kam, meldeten sich viele Filmschaffende bei mir und boten eine Zusammenarbeit an. Und mehr denn je gab es Menschen, die für sich beschlossen hatten, lieber ihren Job an den Nagel zu hängen als weiter innerhalb dieses Systems Filme zu drehen. Die Schauspielerin Soheila Golestani zum Beispiel, die nun in DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS die Mutter spielt, hatte sich entschieden, nie mehr mit Hijab für staatlich geförderte Produktionen zu arbeiten. Entsprechend war es für mich so einfach wie nie, meine Mitstreiter*innen zu finden.

Frühere Werke von Ihnen waren oft sehr reich an Metaphern und dadurch mitunter ein wenig verklausuliert. Verlangt die heutige Zeit angesichts der Entwicklungen im Iran nach klareren, zugänglicheren Werken?

Ehrlich gesagt habe ich schon vor Jahren beschlossen, nicht mehr so metaphorisch zu erzählen. 2011, genauer gesagt. Damals hatte ich plötzlich den Eindruck, dass mir Metaphern zu einer Art Fluchtweg geworden waren, mich gewissen Dingen nicht direkt zu stellen. So als würde ich mich damit selbst zensieren oder meine eigenen Gedanken manipulieren, damit ich so vielleicht Zensur und Unterdrückung entgehen kann. Da manifestierte sich meine Angst, und von der musste ich mich befreien. Heute gilt das natürlich mehr denn je. Es ist nicht so, dass ich mich Metaphern komplett verweigern würde. Aber ich glaube, DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS zeigt besser als jeder anderer meiner Filme, dass man sie mit einer ganz direkten, unmittelbaren Geschichte verschmelzen kann.

Der Titel des Films spielt unter anderem darauf an, dass die Samen des Feigenbaums durch Vogelkot verbreitet werden, nicht wahr?

Genau. Ich habe eigentlich kein Interesse daran, eine mundgerechte Interpretation des Titels mitzuliefern. Er kann aus jeder Sicht anders interpretiert werden. Aber man kann sagen, er steht auch für die Hoffnung, wenn doch aus Vogelkot so etwas Schönes wie ein Feigenbaum entstehen kann.

Die Hoffnung scheint bei Ihnen immer präsent zu sein. Aber man muss fast staunen, dass Sie die nach all Ihren Erfahrungen nie verloren haben …

(langes Schweigen) Ich habe nie darüber nachgedacht, woher meine Hoffnung kommt. Doch ich glaube, man findet im Leben immer und überall genug Anzeichen dafür, dass es weitergeht und sich Positives finden lässt. Ich habe immer das unerschütterliche Gefühl, dass die Zukunft etwas Besseres bringt. Die Hoffnung aufzugeben, kam für mich deswegen noch nie in Frage. Das ist für mich auch die Bedeutung des Lebens: Es gibt kein Ziel, man geht immer weiter, und egal wo man ist und was man macht, gibt es immer noch etwas Schöneres, das man erreichen kann.
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Vor zwei Jahren hatten angesichts der Ausmaße der Proteste im Iran und auch der medialen Aufmerksamkeit sehr viele Menschen die Hoffnung, dass sich etwas verändert und womöglich sogar das Regime zu einem Ende kommt. Ist davon etwas geblieben?**

Auf jeden Fall. Die junge Generation, die da zu großen Teilen auf die Straße gegangen ist, hat eine ganz andere Perspektive auf das Regime gewonnen. Diese Generation ist pragmatisch und ergebnisorientiert. Sie nehmen die Dinge weniger hin als die Generation ihrer Eltern. Und sie beurteilen die Lage auch ganz anders. Ich für meinen Teil bin weder hoffnungslos noch verzweifelt. Natürlich ist das Leben für die Menschen im Iran unverändert schwierig. Aber ich habe das Gefühl, dass alle Iraner*innen auf einen bestimmten Moment warten – und dieser Zeitpunkt wird kommen. Wir warten auf eine bessere Zeit und hoffen darauf, dass die bitteren Erfahrungen der vergangenen 45 Jahre mit möglichst wenigen Opfern und Blutvergießen beendet werden. Auf jeden Fall sieht man eine enorme Veränderung darin, wie heute – anders als vor noch zehn Jahren – auf politische Religion geblickt wird. Das ist ein großer Verdienst der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung, und ich glaube, dass die Islamische Republik das sehr wohl erkannt hat. Noch versucht das Regime mit aller Macht, den Status Quo aufrecht zu halten. Aber eigentlich hat niemand mehr Zweifel daran, dass das Ende nicht mehr weit ist.

Patrick Heidmann

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