Pamela Jahn: Frau Winslet, Ihr Film über die Fotografin Lee Miller ist angeblich dem Umstand zu verdanken, dass Sie vor Jahren einen Tisch ersteigert haben, der ursprünglich Millers Ehemann Roland Penrose gehörte. Offenbar hat Sie nicht nur das Möbelstück begeistert.
Kate Winslet: Es stimmt, ich habe den Tisch 2015 bei einer Auktion erstanden, und er ist bis heute Teil unseres Lebens. Immer wenn ich daran saß, musste ich an Lee Miller denken, und je mehr ich über ihr Leben erfuhr, desto mehr fragte ich mich, warum es noch keinen Film über sie gab. Und jetzt, fast zehn Jahre später, haben wir es geschafft.
Lee Miller, wie Sie sie im Film darstellen, war eine sehr unabhängige, entschlossene Frau. Haben Sie sich mit ihr verbunden gefühlt?
Das war unvermeidlich. Sie hatte eine außergewöhnliche Lebenskraft. Man kann nur beeindruckt sein von dem, was sie getan hat, und von dem Mut, den sie als Frau mittleren Alters in einem so stark von Männern dominierten Umfeld hatte. Sie war kein junges Mädchen, das gerade erst anfing, sich eine Karriere aufzubauen. Ihr Wunsch, die Wahrheit zu zeigen und darüber zu schreiben, wurde zu ihrer Berufung. Sie wusste, dass sie in das Kriegsgebiet reisen und sich dem ganzen Schrecken und Unheil aussetzen musste. Es war wie ein Zwang.
Inwiefern können Sie das nachempfinden?
Manchmal gibt es Dinge, mit denen wir klarkommen müssen, die uns viel widerstandsfähiger machen, als wir denken. Das muss nicht immer gleich ein Weltkrieg sein.
Glauben Sie, dass Lee Miller immer noch ein Vorbild für die Frauen von heute sein kann?
Wie könnte sie das nicht? Allein die Tatsache, wie wohl sie sich mit ihrem Körper fühlte, ist Grund genug. Auch wie sehr sie sich für andere Frauen einsetzte und keine Bitterkeit in sich trug. Sie war nicht wettbewerbsorientiert. Sie wusste, woran sie glaubte, wofür sie stand. Sicher gehörte eine gewisse Sturheit dazu, aber sie war nicht trotzig. Ich glaube, dass jüngere Frauen sich heute fast immer für ihr Frausein verteidigen müssen. So habe ich mich mit Anfang zwanzig auch gefühlt. Sicher hätte es mir schon damals gutgetan, mehr über diese besondere Frau zu erfahren. Sie jetzt zu spielen, hat mich auf eine sehr schöne, positive Art und Weise geprägt.
Am Anfang des Films sagt Lee Miller sinngemäß, dass es im Leben immer um Transaktionen geht. Stimmen Sie dem zu?
Nein, ich sehe das nicht so. Aber Sie müssen auch bedenken, es ist die ältere Lee, die in dem Moment spricht. Zu dem Zeitpunkt ist sie Mitte siebzig und kann glauben, was sie will. So sehe ich das. Ich unterstütze diese Theorie aber nicht.
Gibt es ganz konkret etwas, das Sie von ihr übernommen haben?
Ihre Selbstlosigkeit im Umgang mit ihrer eigenen Körperlichkeit hat mich sehr inspiriert. Dabei ist es noch nicht mal so, dass ich extrem streng in diesem Muster der Selbstkritik gefangen bin. Aber in der Auseinandersetzung mit ihr ist mir noch einmal bewusst geworden, wie wichtig es ist, sich wirklich komplett davon zu befreien. Wir Frauen verschwenden so viel Zeit damit, auf unser physisches Selbst zu schauen, uns mit anderen Frauen zu vergleichen, unser Aussehen zu optimieren, der Figur zuliebe auf diesen oder jenen Genuss zu verzichten - das ist so dumm. Ich will nicht zurückblicken und denken: Ich habe mein Leben damit verschwendet, dies und nicht das zu sein. Ich bin fertig mit all dem. Schluss, aus, vorbei.
Im Film herrscht eine große Freizügigkeit.
So hat sie gelebt, das war einfach so. Aber es ist wichtig zu erwähnen, dass die Nacktheit im Film nie sexualisiert, sondern immer neutral gehalten ist.
Es ist das erste Mal, dass Sie auch als Produzentin an dem Projekt beteiligt waren. Gab es bestimmte Klischees, wie man sie aus anderen Biopics kennt, die Sie unbedingt vermeiden wollten?
Wir wollten definitiv das Wort Biopic vermeiden. Leider ist es das einzige Wort, das den Leuten einfällt, wenn man einen Film über eine reale Person macht. Aber der Film deckt nur etwa zehn Jahre ihres Lebens ab. Ansonsten wäre eine mehrteilige Fernsehserie daraus geworden.
Zum Beispiel, dass Miller ihre Karriere als Model begonnen hat, wird nur kurz erwähnt.
Das war beabsichtigt. Wir wollten diesen Teil ihres Lebens, in dem sie hauptsächlich als Muse von Man Ray bezeichnet wurde, nicht einbeziehen. Entschuldigung, aber ich hasse diesen Begriff „Muse“, er ist einfach lächerlich. Und darum geht es in unserem Film auch nicht. Wir zeigen eine Frau, die zur Kriegsberichterstatterin wird. Eine Frau, die erst lernen muss, über das zu schreiben, was sie sieht, weil sie noch nie einen Artikel geschrieben hat. Und meine Rolle als Produzentin war es, die Erzählung in die Richtung zu lenken und auf dieser Linie zu bleiben, anstatt einzelne Episoden aus ihrem Leben zu erzählen, die lediglich durch den männlichen Blick zusammengefasst werden.
Warum haben Sie sich eigentlich nicht für eine weibliche Kamerafrau entschieden?
Mit Ellen Kuras hatten wir eine Regisseurin, die selbst hauptsächlich als Kamerafrau tätig ist. Für sie war es wichtig, mit Paweł Edelman zu arbeiten. Auch ich kannte ihn bereits. Ich habe ALL THE KING'S MEN und CARNAGE mit ihm gedreht. Wir mussten jemandem mit dem richtigen Blick und der entsprechenden Expertise finden, um die Geschichte zu erzählen, die wir im Kopf hatten. Aber am Set hatten wir das Sagen, glauben Sie mir.
Wie wichtig ist es für Sie persönlich, bei diesem Film auch als Produzentin und nicht „nur“ als Schauspielerin gesehen zu werden?
Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, aber ich habe auf jeden Fall das Gefühl, dass ich auf diese Weise nützlicher sein konnte, weil ich Sachen auf die Reihe kriege. Ich bin mittlerweile lange genug in der Branche, um zu wissen, was ich tue - egal, ob es ums Produzieren geht oder um die Schauspielerei. Beides zusammen unter einen Hut bringen, ist eine besondere Herausforderung. Ich sehe es als ein großes Privileg.