Tom Dorow: Woher nimmst du den Mut, einen Film wie DER FLECK als dein Debüt ins Kino zu bringen? DER FLECK ist ja ein Film ohne klassische Dramaturgie und mit einer sehr eigenen Bildsprache.
Willy Hans: Der Kameramann Paul Spengemann und ich arbeiten jetzt seit zwölf Jahren zusammen, und sukzessive sind wir immer, ich will nicht sagen radikaler, aber stringenter geworden in der Art und Weise, wie wir über Bild und visuelle Sprache eine Story erzählen. Das wäre das eine. Das andere ist, dass es einen Punkt gab, an dem man sich entscheiden musste: Will man in das Genre Coming-of-Age, also will man das voll und ganz bedienen - dann muss man auch in diese Art des Storytellings reingehen. Oder will man dieses Genre eher benutzen als eine Art von Tableau, aus dem man sich bestimmte Sachen herauspickt und dann eher atmosphärisch und assoziativ erzählt. Entsprechend habe ich das Drehbuch geschrieben. Ich wollte vermeiden, dass über Dialog Informationen vermittelt werden, was ich in Filmen relativ langweilig finde. Es gibt dann eher Dialog, der für sich steht und der so ein bisschen skurril oder absurd ist. In meinem Gefühl oder meiner Erinnerung entspricht das mehr dem Jugendlichsein und diesem trägen Dahinplätschern der Zeit, als wenn es eine stringente Story wäre.
So eine jugendliche Welt existiert in ganz anderen Räumen als die von Erwachsenen. Das ist auch in deinen Kurzfilmen oft Thema gewesen: diese merkwürdigen Räume, die sich Jugendliche selbst schaffen, irgendwelche Dickichte oder eine Autobahnunterführung, seltsame Flecke, an denen man sich trifft.
Irgendwie bin ich angezogen von diesen komischen Orten, diesen Unorten. Beim FLECK ist es so, dass man eigentlich eine idyllische Landschaft hat, aber die wird immer wieder gebrochen durch eine Art von menschlichen Artefakten, die sichtbar werden in Form von Müll, der Autobahnunterführung oder einer Imbissbude. Das ist etwas, woran ich mich aus meiner Jugend erinnere. Ich bin im süddeutschen Raum großgeworden, in der Nähe von Freiburg. Und das waren die Orte, wo man sich aufgehalten hat. In der Nähe der Autobahn, hinterm Gebüsch, hinterm Sportplatz. Das sind diese Dickichte, die ganz banal sind. Aber über diese Banalität entsteht etwas Mystisches oder Magisches, und ich glaube, das ist es, was mich filmisch sehr interessiert.
Es sind sehr intime Räume, in denen Erwachsene zum Beispiel keinen Zutritt haben.
Die haben keinen Zutritt, aber auch kein Erleben in dem Sinne, weil das Erleben im Kindlichen und Jugendlichen auch dadurch entsteht, dass für sie die Zeit eine ganz andere ist. So findet es auch beim FLECK statt. Die Zeit wird gedehnt, aber dann an einer bestimmten Stelle auch gestaucht und ist eigentlich ein unzuverlässiger Faktor. Darüber findet dann auch das Erleben dieser Räume statt. Dadurch, dass Dinge anders beobachtet werden, dass Dinge eine andere Bedeutung kriegen, allein durch die Langeweile - die auch ein sehr großer Faktor in meinem Film ist – wird die Umwelt anders wahrgenommen als es bei uns Erwachsenen der Fall ist. Bei uns ist die Zeit viel mehr durchgetaktet, und man geht sehr, sehr viel rationaler mit der eigenen Zeit und mit dem Erleben der eigenen Zeit um.
Es ist nicht einfach, Langeweile so zu inszenieren, dass zwar die Dauer spürbar wird, aber dass sie eben in der Erzählung oder im Film nicht langweilig wird. Die Darstellung der Langeweile spielt in deinen Filmen oft eine Rolle.
Ich glaube, das ist letztendlich auch eine Geschmacksfrage. Ich erlebe auch beim FLECK, dass es Zuschauer*innen gibt, die frustriert darüber sind, dass es kein Vorankommen gibt oder dass man diese Langeweile auch ein Stück weit aushalten muss. Für mich ist es total wichtig und sehr aufregend, Langeweile darzustellen und mitzuerleben, denn als erwachsene Person gibt es das nicht mehr. Ich sage manchmal, auch um zu provozieren, dass ich es vermisse, mich zu langweilen. Aber es ist auch tatsächlich so. Erst in der Langeweile tritt diese Art des Mystischen oder Magischen zutage: indem man nichts tut oder die Zeit aushält oder die Zeit verstreichen lässt, auch durch Müßiggang, aber vor allem durch Langeweile, die ja erstmal negativ konnotiert ist oder sehr negativ wahrgenommen wird.
Das Narrativ unserer Gesellschaft verlangt, dass man die ganze Zeit aktiv und produktiv ist. Dann gibt es eine neue Regierung, die sagt: "Work Life Balance ist out. Das ist jetzt kein Ziel mehr für eine Gesellschaft, sondern nur die absolute Produktivität." Und vielleicht ist mein Film auch eine Antithese dazu, dass man fleißig sein muss. Das, was einen als Mensch ausmacht, liegt halt auch im Nichtstun.