Filmgespräch

Tom Tykwer über DAS LICHT: "Man kann keinen Film machen, der einen selbst nichts angeht."

Tom Tykwer (*1965 in Wuppertal) wurde bereits mit seinen ersten Filmen, DIE TÖDLICHE MARIA (1993) und WINTERSCHLÄFER (1997), zum Geheimtipp, und spätestens mit LOLA RENNT (1998) zu einem der angesagtesten jungen deutschen Regisseure. Seit 2017 inszenierte Tykwer die Fernsehserie „Berlin Babylon“. DAS LICHT ist seine Rückkehr zum Kino.

Pamela Jahn: Herr Tykwer, Sie sind Jahrgang 1965. Inwieweit unterscheiden sich die familiären Konflikte, die Sie in DAS LICHT beschreiben, von denen, die Ihre Jugendgeneration mit den eigenen Eltern ausfechten mussten?

Tom Tykwer: Markant. Damals waren die Voraussetzungen ganz andere, weil die Kriegs- mit der Nachkriegsgeneration zusammenstieß. Dadurch sind zum Teil unüberwindbare Gräben entstanden; die Erfahrungen auf beiden Seiten haben unheilbare Wunden hinterlassen, so dass man daraus auch ein enormes dramatisches Potenzial ziehen konnte. Das Kino liefert die besten Beispiele dafür.

Worin liegt heute der Kern des Problems?

Derartige Konflikte sind immer intergenerational durch die menschliche Genese determiniert, nicht nur durch ein Abgrenzungsbedürfnis. Dazu kommt ein wachsendes Fremdheitsgefühl. Unser Blick auf das, was kommt, entwickelt sich auf eine Weise, die uns unsicher werden lässt. Wir verlieren den Zugriff, und das macht uns Angst. Dieses Unbehagen wiederum ist auch ein Trigger für Aggressionen. Und dann stehen uns da diese gelassenen, fast schon langweiligen jungen Leute gegenüber, die sagen: „Was habt ihr uns denn hier Halbfertiges hinterlassen, das uns jetzt um die Ohren fliegt. Wieso habt ihr nichts getan?“ Das ist der Vorwurf, der gerade am lautesten ist und mich am meisten bestürzt, weil ich immer versucht habe, ein sehr bewusstes und kritisches Leben zu führen.

Ist Liebe die Lösung für alles?

Der Film hat viele Themen, aber die Sehnsucht nach Verbindung und Halt ist ein zentrales Element. Dass wir zwar entfremdet und irritiert voreinander stehen, aber trotzdem nicht umhinkönnen, zuzugeben, dass wir uns auch ähnlich sind. Wir sind uns sogar näher als vorherige Generationen. Nur deshalb konnte ich mich überhaupt in diese beiden Teenager hineinversetzen, weil sie Sachen machen, die für manche Erwachsene heute genauso typisch sind. Die Leute gehen in Clubs, sie spielen Videogames. Das Alter spielt keine Rolle. Aber die Reibungspunkte sind andere und daraus entsteht ein seltsamer Streitraum.

Zu Beginn des Films fällt der Begriff „Geleit“ — was verbinden Sie damit?

Ich finde es ein schönes, leicht sakrales Wort, das Hilfe und Stütze, Sorge und Zugewandtheit impliziert. Wie eine Person, die es mir ermöglicht, über eine Schwelle zu treten. Oder meine inneren Widerstände aufzulösen. Das kann symbolisch gemeint sein, aber auch ganz konkret, wenn es um benachteiligte oder kranke Menschen geht. Hinter dem Ausdruck steht für mich ein humanistisch zugewandtes Prinzip: Wir müssen uns wieder gegenseitig finden und zusammenhalten. Das ist die Essenz.

War das Licht für Sie von vornherein die Metapher Ihrer Wahl für das Übertreten dieser Schwelle?

Ich mache Filme fürs Kino, da flackert das Licht die ganze Zeit. Es wird eine riesige Maschine gebaut, um das Irrationale zu entfesseln. Ein irrsinniger Apparat, der in Bewegung gesetzt werden muss, um dem größten Bedürfnis zu entsprechen, das wir haben, wenn wir ins Kino gehen, nämlich starke Gefühle zu erleben. Und die therapeutische Lampe, die in der Geschichte zum Einsatz kommt, funktioniert ganz ähnlich. Sie öffnet die Seelen der Menschen durch Lichtfrequenzen, wenn man so will.

Sie haben sich in Ihrer Karriere schon immer sehr für die technischen Möglichkeiten des Filmemachens interessiert. Verbinden Sie damit einen gewissen Zukunftsoptimismus?

Ich habe mich stets bemüht, wenigstens ein bisschen Schritt zu halten. Zumindest auf meinem Gebiet und konkret, was die Digitalisierung des Kinos betrifft. Diese Entwicklung habe ich sehr begrüßt. Ehrlich gesagt, vermisse ich gar nichts, was das Filmen auf Zelluloid angeht. Und das, obwohl ich früher mal als Filmvorführer gearbeitet habe und dadurch noch einmal ganz anders mit der Haptik von Film als Medium verbunden war.

Bedauern Sie wirklich gar nichts daran?

Nein, weil die Vorteile des Digitalen so unermesslich viel größer sind. Mich persönlich hat die neue Technologie gerettet. Ich bin seitdem überhaupt erst ein einigermaßen brauchbarer Regisseur geworden.

Wie das?

Weil ich die Kamera irgendwo hinstellen kann, läuft sofort los das Ding, und ich kann Lichtkorrekturen in fünf Minuten machen, die früher eine Stunde dauerten. Auch die Spontanität und die Direktheit, die ich inzwischen mit Schauspielern entwickelt habe, lässt sich nicht mit meiner Arbeit als Regisseur von vor 20 Jahren vergleichen. Alles ist viel spontaner, schärfer, nicht so behäbig. Es hat eine gewisse Klarheit. Fast wie ein sehr aufmerksamer Dialog am Set und nicht ein Abhaken von vorher festgelegten, kompliziert aufzubauenden Einstellungen. Das ist, wenn Sie mich fragen, auch vielmehr den Erzählformen des Kinos von heute gemäß.

Worin besteht der Unterschied zu früher?

Das gegenwärtige Kino ist mittlerweile zunehmend von den Freiheiten geprägt, die sich zuvor das Fernsehen genommen hat, seitdem das serielle Erzählen so groß geworden ist. Das Schöne an Serien ist doch, dass sie von der zentralen Handlung auch mal abbiegen können, um vielleicht einer Nebenfigur zu folgen, für die sonst keine Zeit geblieben wäre. Das ist so ähnlich wie bei tollen Romanen. Serien dürfen das. Sie sollen es sogar.

Wenn Sie an „Babylon Berlin“ zurückdenken, was haben Sie als Regisseur aus der seriellen Welt mit in den Film übernommen?

Nicht viel, die Stärken des Kinos liegen natürlich ganz woanders. Aber diese neue Autonomie im Erzählen macht die Filme insgesamt ein bisschen länger. Dadurch, dass die Leute so viele Serien schauen, fühlen sich zweieinhalb Stunden jetzt nicht mehr wirklich lang an. Es scheint eher der Durchschnitt zu werden, weil eben auch das Gewicht oftmals schwerer wiegt, das Filme heute zu tragen haben. Das kommt mir sehr entgegen. Wichtig ist jedoch: Man muss sich die Zeit verdienen. Der Film darf nicht einfach verweilen.

Sie wollten nach „Babylon Berlin“ explizit einen Film drehen, der im Hier und Jetzt spielt. Gleichzeitig greifen die Medien angesichts des Rechtsrucks in Europa immer häufiger zu Vergleichen mit der Weimarer Republik, was die politischen Verhältnisse betrifft. In diesem Sinne war auch die Serie hochaktuell, am Puls der Zeit.

Ein historischer Stoff ist sowieso nur dann interessant, wenn er sich in der Gegenwart spiegelt. Man kann keinen Film machen, der einen selbst nichts angeht. Die Übertragung in unser Leben ist das Wesentliche. Das muss immer darüber atmen. Und bei „Babylon Berlin“ war das natürlich besonders drastisch zu spüren. Wir haben 2012 mit der Serie angefangen. Damals gab es noch keinen Brexit. Ich hatte noch nie von Trump gehört, zumindest nicht als Präsident. Europa war ein stabiles Bollwerk der Demokratie, die AfD eine kleine Splitterpartei. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich die Geschichte auf eine unheimliche Weise auf uns zubewegt. Dennoch war „Babylon Berlin“ ganz eindeutig eine Serie über meine Großeltern und wie sie diese Zeit erlebt haben.

Was war das Spezifische an dieser Generation?

Sie hatte so etwas Hartes. Das waren die Menschen, die ihre Kindheit in der Kaiserzeit verbracht haben. Filmisch betrachtet, sind es die Jungen und Mädchen aus DAS WEISSE BAND. Menschen mit dem Ersten Weltkrieg im Nacken, die geprägt waren durch den Quantensprung vom Krieg ins Grauen.

Sie verbinden in DAS LICHT die Lebenswelt einer geflüchteten Syrerin mit den Konflikten innerhalb einer modernen deutschen Familie — lässt sich beides miteinander vergleichen?

Interessant ist doch, dass sich das Leben von Menschen mit Migrationshintergrund unserem eigenen Alltag mehr ähnelt, als wir das manchmal anerkennen wollen. Damit meine ich vor allem die Zugewanderten, die eben auch schon mehr als ein Jahrzehnt oder noch viel länger hier wohnen, die unsere Sprache sprechen, Arbeit haben und mit denen man wirklich auf Augenhöhe tiefe Freundschaften eingehen kann - bis man irgendwann über seine Wurzeln spricht. Über Herkunft und Vergangenheit. Plötzlich werden da Geschichten laut, die einen komplett aus der Umlaufbahn werfen, und man fragt sich: Wie konnten wir uns begegnen und glauben, dass wir eine ähnliche Zugangsweise zueinander haben, wo unsere Lebenswege doch so drastisch verschieden sind? Diese Menschen haben oftmals in einen Abgrund geblickt. Sie haben Dinge erlebt, die wir niemals nachvollziehen können. Und für mich ist das ein wahnsinnig wichtiger Punkt. Denn die Antwort lautet meistens: „Aber das trage ich doch nur in mir. Das trage ich nicht vor mir her.“

Hat Ihr Film für Sie in der Hinsicht eine heilende Wirkung auf beiden Seiten?

Ja, unbedingt.

Relevante Filme

Tipp von Cineville

Das Licht (2024)

‘Tom Tykwer kehrt mit DAS LICHT zum Kino zurück.’