Patrick Heidmann: Herr Sissako, Aya, die Protagonistin Ihres neuen Films BLACK TEA, kommt von der Elfenbeinküste nach Guangzhou in China, wo sie in einem Teeladen arbeitet, die Kunst der Teezeremonien lernt und sich in den Besitzer verliebt. Was verbindet Sie selbst mit Tee? Und was symbolisiert er in Ihrem Film?
Abderrahmane Sissako: Rituale rund um Tee gibt es nicht nur in China und anderen ostasiatischen Ländern. In meiner Heimat Mauretanien zum Beispiel haben wir auch eine besondere Tee-Zeremonie, die mehrmals am Tag begangen wird. Ich bin also sehr vertraut mit dem Thema Tee – und finde, darin liegt eine große, kulturübergreifende Kraft. Gleichzeitig war mein Gedanke zu zeigen, wie Aya das Herz des Mannes, den sie liebt, dadurch erobert, dass sie sich seiner Kultur annimmt. Für sie sind der Tee und die damit zusammenhängende Zeremonie nicht nur ein Weg, ihm Respekt zu zollen, sondern auch Intimität und Nähe herzustellen, im mehrfachen Wortsinn.
Womit nahm diese Geschichte eigentlich Ihren Anfang?
Wahrscheinlich kann man sagen, dass die Idee zu diesem Film ihren Ursprung vor über 20 Jahren hatte. Damals fingen Chinesen an, in afrikanische Städte zu ziehen oder ihre Läden und Geschäfte zu eröffnen. Ein bisschen so, wie man es auch aus den Chinatown-Vierteln in New York oder London kennt. Bereits 2002 gab es in meinem Film REISE INS GLÜCK eine Szene, in der ein chinesischer Mann mit einer jungen Afrikanerin zu Abend isst.
Eines der Themen des Films ist Globalisierung. Häufig geht es im Kino dieser Tage düster und pessimistisch zu, wenn von der Zukunft unserer Welt die Rede ist. Ihr Blick scheint dagegen sehr viel zarter, sogar hoffnungsvoller zu sein …
Genau das war meine Absicht. Mir war es wichtig, im Kontext von Migrationsbewegungen, die vom afrikanischen Kontinent ausgehen, nicht nur von Furcht und Verzweiflung zu erzählen. Genauso wie ich ein Bild von China zeichnen wollte, das man so nicht jeden Tag im Kino sieht. Geschweige denn, dass Afrika und China schon einmal so auf der Leinwand miteinander kontrastiert und verschmolzen wurden. Wir leben heute in einer globalen Welt, und das ist nichts Schlechtes. Die Menschheit war schon immer geprägt von konstanten Strömungen und Bewegungen. Verschiebungen und Reisen, nicht von Individuen, sondern ganzen Völkern hat es immer schon gegeben. Sich abzuschotten und andere aussperren zu wollen, halte ich auf lange Sicht für unmöglich. Aber darin sehe ich eben nicht Gefahr oder Schrecken, sondern glaube, dass die Unausweichlichkeit, dass wir uns alle begegnen und miteinander vermischen, eine Chance ist.
Ist BLACK TEA auch deswegen ein Ensemblefilm, um eben jene Begegnungen deutlicher abbilden zu können?
Das könnte man sicherlich so sagen. Natürlich ist Aya das Zentrum des Films, doch mir war es ganz wichtig, dass sie nicht zum Emblem der afrikanischen Frau wird, die im Alleingang gegen die Mühlen der Gesellschaft ankämpfen muss und alle Last der Welt auf ihrem Rücken trägt. Deswegen war zum Beispiel eine Figur wie Ying, die Ex-Ehefrau des Teeladen-Besitzers Cais, als Gegenpol so wichtig. Aya versteht sofort, dass auch diese Frau zu kämpfen hatte und gelitten hat. Oder die Frisörin Douyue, die davon träumt, eines Tages nach Afrika zu gehen, weil sie nach schlechten Erfahrungen in ihrer chinesischen Heimat glaubt, dort seien alle Ehemänner großartig. Sie und alle anderen Figuren wollte ich dazu nutzen zu zeigen, dass wir uns alle in unseren Träumen und Sehnsüchten, unseren Verletzungen und Glücksgefühlen überall sehr ähnlich sind. Und dass das meiste, was wir von anderen Kulturen und Gesellschaften im Kopf haben, engstirnige Klischees sind, die mit der Realität selten viel gemein haben.