Filmgespräch

Alireza Golafshan über ALLES FIFTY-FIFTY: "Ich bin mit Sitcoms und Filmen wie DIE NACKTE KANONE groß geworden."

Alireza Golafshan wurde 1986 in Teheran geboren. Er wanderte 1998 mit seiner Familie nach Deutschland aus und studierte Philosophie und Kunstgeschichte bevor er 2008 an die HFF München wechselte und Film studierte. ALLES FIFTY FIFTY ist nach DIE GOLDFISCHE (2019) über einen querschnittsgelähmten Banker (Tom Schilling), der eine Behinderten-WG in die Schweiz einlädt, um illegal gebunkertes Geld mit ihrer Hilfe nach Deutschland zu holen, und der Jungesellinnenabschieds-Komödie JGA: JASMIN. GINA. ANNA. (2022) erneut eine Komödie geworden.

Pamela Jahn: Herr Golafshan, wurden Ihre Eltern auch mal in die Schule bestellt, weil Sie sich auffällig verhalten haben?

Nein, das nicht. Aber ich habe als Teenager was mitgehen lassen vom Supermarkt. Später musste mich meine Mutter zur Polizei begleiten. Das war fast noch schlimmer.

Wie ist Ihre Mutter damit umgegangen?

Sie hat dann dafür gesorgt, dass mein Vater von der Sache nichts mitbekam. Er war durchaus strenger. Und wenn es darauf ankam, stand meine Mutter immer hinter mir. Aber ich habe schon auch von ihr eine Strafe bekommen.

Warum haben Sie überhaupt geklaut?

Es war eine dumme Mutprobe unter Klassenkameraden.

Sie sind in Teheran geboren. Ende der 1990 Jahre wanderte Ihre Familie nach Deutschland aus. Damals waren Sie zwölf, fast in dem gleichen Alter wie Milan im Film. Welche Erinnerungen haben Sie an die Zeit?

Durch die Migration habe ich sogar intensivere Bilder im Kopf als vielleicht im Hinblick auf mein späteres Teenager-Dasein. Insofern hat mir das beim Schreiben des Drehbuchs sehr geholfen. Vor allem auch, weil man rückblickend aufpassen muss, dass man die eigene Kindheit nicht zu sehr romantisiert. Man ist als Elfjähriger, in dieser vorpubertären Phase, immer noch mehr Kind, als man das als Erwachsener wahrhaben will. Von wegen, in dem Alter geht das alles los mit der Eigenständigkeit. In Wirklichkeit vergehen locker noch mal zehn Jahre, bis man wirklich unabhängig ist.

Was ist für Sie als Erwachsener das Spannende an dem Alter?

Dass viele Eltern das Gefühl haben, sie müssten die Kinder in der Zeit besonders pushen oder fordern. Ich halte das mittlerweile für falsch. Ich finde, man muss die Kinder so lange bedingungslos lieben und bei sich behalten, bis sie sich selbst entscheiden, den nächsten Schritt zu gehen. Das macht auch die Aufgabe als Eltern entspannter, wenn man nicht darauf beharrt, dass sich die Kinder mehr trauen. Selbstbewusstsein kommt nicht, indem man befiehlt: «Trau dich!», sondern indem man sagt: «Ich bin für dich da, egal was passiert.»

Sie sind vor fünf Jahren selbst Vater geworden. Was sind die schlimmsten Fehler, die man bei der Erziehung machen kann?

Nicht da zu sein, glaube ich. Wir haben alle unseren Rucksack voll mit eigenen Erziehungsthemen. Es gibt Dinge, die wir unbedingt vermeiden, anders machen und nicht weitergeben wollen. Aber für sein Kind da zu sein, ist überhaupt die Basis. Das ist wie der Teig bei der Pizza. Der Belag ist zweitrangig. Nur heutzutage scheint das eine der größten Herausforderungen überhaupt zu sein, sich erstens die Zeit zu nehmen und auch die eigene Aufmerksamkeit wieder so zu trainieren, dass man sich länger mit einem kleinen Menschen beschäftigen kann. Da gibt es keinen Shortcut und da hilft auch nicht der beste Erziehungsratgeber der Welt. Es ist einfach eine Priorität, die man als Eltern setzen muss, wenn man es ernst meint mit der Erziehung.

Milan ist ein Scheidungskind, der die Situation zu seinen Gunsten auszunutzen weiß. Ist das auch ein Phänomen unserer Zeit?

Das Thema Trennung war für mich zweitrangig. Die Scheidung ist eine Zuspitzung. Es ist quasi die Konsequenz der Sturheit dieser beiden Eltern. Aber letzten Endes hat man die meisten Probleme, die in dem Film behandelt werden, auch wenn man verheiratet ist. Vielleicht sogar noch mehr.

Was war die eigentliche Idee zum Film?

Der Grundgedanke war: ein verwöhntes Einzelkind geschiedener Eltern möchte, dass alles so bleibt, wie es ist. Was mich reizte, war gegen das Klischee anzugehen, dass alle Scheidungskinder traurig sind, weil ihre Eltern getrennt leben. Milan mag die Routine, dass es zwei Appartements gibt, dass er aufgrund der Situation gewisse Freiheiten genießt. Und er erkennt, dass er Mutter und Vater gegeneinander ausspielen kann. Das war der Startpunkt. Erst beim Schreiben hat sich daraus eine Geschichte der Eltern entwickelt, die denken sie hätten alles im Griff mit ihrem vermeintlich konfliktfreien 50-50-Modell. In Wirklichkeit gibt es jedoch einiges, was aufgeholt werden muss, was sie sich schöngeredet haben.

Glauben Sie noch an das klassische Familienmodell: Vater, Mutter, Kind als eine funktionierende Einheit?

Ich finde es interessant, dass man das heute schon als «klassisch» bezeichnet. In der Geschichte der Menschheit ist das Konzept doch relativ neu. Früher galt die Großfamilie als der Inbegriff einer intakten Generationengemeinschaft. Das jetzt nur zwei Menschen für die Erziehung eines Kindes verantwortlich sind, ist meines Erachtens ein relativ unerprobtes Modell. Und ich glaube, es war von vornherein nicht richtig. Die Kleinfamilie war zum Scheitern verurteilt, bevor sie sich in der Gesellschaft etablieren konnte, weil parallele Entwicklungen wie etwa die Emanzipation der Frauen und deren Berufstätigkeit sofort wieder andere, alternative Familienstrukturen einforderten. Plötzlich stand die Frage im Raum, wer sich letztendlich um das Kind kümmern soll. Und am Ende ist es doch immer wieder die Wirtschaft, die diktiert, was mit den Kindern passiert.

Wie meinen Sie das?

Wenn man sich die Betreuungszeiten anguckt, sind das ja keine freiwillig gewählten Vorgaben der Kindergärten. Die Wirtschaft verlangt, dass Vater und Mutter um neun im Büro oder im Home-Office sitzen. Und es ist schon interessant, wie sehr wir bereit sind, uns danach zu richten, egal wie klein unsere Kinder noch sind. Dazu gehört auch, dass wir unsere Liebsten jeden Morgen an fremde Leute abgeben, die wir eigentlich nicht wirklich kennen. Das hat großen Einfluss auf die Bindung. Da habe ich schon interessante Erfahrung gemacht.

Ach ja?

Ich glaube, die Kinder gucken sich sehr genau ab, wie ihre Eltern mit den Erwachsenen in ihrem Umfeld umgehen. Es ist fast schon ironisch, dass in der Eingewöhnungsphase im Kindergarten immer nur die Kleinen im Fokus stehen. Eigentlich müssten die Eltern einen Kennenlernkurs durchlaufen, weil die Kinder insgeheim genau darauf achten: Wie reagiert mein Papa, wenn er diese Erzieherin sieht? Ach so, er kennt diese Person überhaupt nicht. Und warum wird jetzt von mir erwartet, dass ich nicht weine, wenn er weggeht? Dagegen hat mein Sohn zu meiner Schwester ein sehr enges Verhältnis, obwohl sie nicht oft zu Besuch ist. Aber sie kommt durch die Tür, ich umarme sie herzlich und kann im selben Moment sagen: «So, ich bin jetzt mal einen halben Tag weg.» Das ist für ihn überhaupt kein Problem, weil er die Bindung zwischen uns spürt.

Milan ist ein Eigenbrötler, ein Außenseiter. Haben Sie sich nach Ihrer Übersiedlung nach Deutschland auch erst mal allein gefühlt?

Nicht wirklich. Meine Situation war eine andere, weil ich mit vier Schwestern aufgewachsen bin. Wir konnten glücklicherweise alle gemeinsam auswandern. Und da meine Eltern in den Siebzigern in Deutschland gelebt hatten, war uns die deutsche Kultur nicht wirklich fremd. Vielleicht gibt es eine gewisse Analogie zu Scheidungskindern, die manchmal zwei Persönlichkeiten entwickeln, je nachdem bei welchem Elternteil sie gerade zuhause sind. So ist das bei vielen Migrantenkindern auch, allerdings sind die zwei Welten Zuhause und Draußen.

Sie haben sich nicht ausgegrenzt gefühlt?

Ich habe schon immer versucht, das Gegenteil zu denken. Ich wusste, dass ich sowieso nicht mithalten konnte, was die Sprache oder die kulturellen Feinheiten anging. Also habe ich mich schnell in der Rolle gesehen, anders als andere an bestimmte Sachen heranzugehen. Irgendwann, irgendwie zahlte sich das immer aus. Die Migration hatte nicht nur Nachteile. Zum Beispiel mussten wir in der sechsten Klasse im Deutschunterricht üben, mit dem Nachschlagen im Wörterbuch klarzukommen. Das war meine Stunde: Ich war mit Abstand der Schnellste, weil ich es gewohnt war, jeden Tag ständig Begriffe nachzuschauen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Laura Tonke und Moritz Bleibtreu ein Paar spielen. Warum funktionieren die beiden zusammen so gut?

Ehrlich gesagt, habe ich mich zunächst gefragt, ob das nicht eigentlich gegen die Besetzung spricht. Ich wollte diesen Wiederholungseffekt vermeiden. Anderseits dachte ich mir, wenn sie gut miteinander funktionieren, gerade in der Tradition von klassischen Screwball-Komödien, dann macht es für mich auch total Sinn. Cary Grant und Doris Day haben auch etliche Filme zusammen gedreht, warum soll das bei Laura und Moritz nicht auch gehen.

Woher kommt Ihre Vorliebe fürs Komödiantische?

Ich weiß es nicht. Fest steht, dass ich mich während der Zeit an der Filmhochschule noch durchaus anders gesehen habe, viel ernster. Vielleicht auch, weil man denkt, dass muss so sein, schließlich hat man es durch das harte Auswahlverfahren geschafft. Danach guckt man erst mal viel Ingmar Bergman und Michael Haneke. Keine Ahnung, ob das mittlerweile anders ist, aber damals wurde der Unterhaltungsfilm, die Komödie, wirklich fast vollständig vernachlässigt. Ich dagegen bin mit Sitcoms und Filmen wie DIE NACKTE KANONE groß geworden. Später habe ich mich vor allem an der jüdisch-amerikanischen Tradition von Lubitsch, Wilder und den Coen-Brüdern orientiert. Irgendwann habe ich gemerkt, das diese Filme wahrscheinlich meine eigentliche Filmschule gewesen sind.

Was macht Ihrer Meinung nach eine gute deutsche Komödien aus?

Die «Deutsche Komödie» hat ja durchaus nicht nur einen guten Ruf. Ich kann nur hoffen, dass ich Filme drehe, die auch die Zweifler überzeugen. Das passiert oft nicht an der Kinokasse, so risikofreudig sind die deutschen Filmskeptiker dann doch nicht. Aber wenn ein Film wie mein Debüt GOLDFISCHE jetzt erfolgreich auf Netflix läuft, weil beim Streaming die Hemmschwelle geringer ist, fühle ich mich bestärkt in dem, was ich mache. (INDIEKINO Magazin, 08/2024)

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